Klimaschonende Anreise zum Klettern und Bergsteigen

22. 11. 2019 | Klima und Politik Alpines Know-How Naturschutz Verantwortung
von Markus Stadler

So lassen sich die CO2-Emissionen für Bergsteiger und Kletterer reduzieren

Neue Perspektiven mit klimaschonender Anreise

Autofahren oder gar Fliegen ist kein integraler Bestandteil des Bergsteigens oder Kletterns, auch wenn es für viele nicht anders vorstellbar ist und damit die Umwelt und das Klima belastet wird. Dabei gibt es für Mobilität viel mehr Optionen, als in einer oft viel zu großen Blechkiste unter der Verbrennung von Erdöl. Mit einer ökologisch schonenden Herangehensweise an das Thema Anreise zum Bergsteigen kannst du nicht nur CO2 einsparen, sondern verläßt den Tunnelblick, erhältst neue Sichtweisen, vielfältigere Tourenmöglichkeiten, neue Bekanntschaften und meistens auch eine gesteigerte Erlebnisqualität bei deinen Berg- und Klettertouren. Dabei geht es nicht nur darum, alle Touren mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Es geht in erster Linie darum, seinen persönlichen CO2 Fußabdruck zu minimieren. Die allgemeingültige Patentlösung dafür gibt es nicht. Jeder hat andere bergsportliche Interessen, Anbindung des Wohnorts an das ÖPNV-Netz und die Entfernung zu attraktiven Bergzielen oder Klettergebieten spielen eine wichtige Rolle. Meist reicht eine nur leicht angepasste Tourenauswahl, eine optimierte Zeit- und Urlaubsplanung und etwas Kreativität für eine deutliche CO2-Reduktion, um am Ende des Jahres trotzdem ein prall mit Erlebnissen gefülltes Tourenbuch zu haben.

Entdecke deine Hausberge

Wallis, Dolomiten, Arco, Finale, Dauphine, Piemont, Kalymnos, Verdon. Für jemand, der - wie ich - aus Rosenheim kommt, gibt es genug Gründe, nicht in diese weit entfernten Gebiete zu fahren. Vom Dietrichshorn über Schleierwasserfall, Gschwandtpfeiler bis zum Brauneck gibt es viele Felsen, die mindestens so gute Sportkletterrouten bieten wie Arco oder Finale. Der Felsriegel zwischen Urlkopf und Steinplatte kann ohne Übertreibung mit Verdon mithalten, Wilder Kaiser und Berchtesgadener Alpen sind Alpinklettereldorados. Alles in etwa einer Stunde mit dem Auto erreichbar, einiges davon gut mit Öffis, sogar mit dem Radl sind einige Ziele gut zu erstrampeln. Für Wanderungen oder Skitouren gibt es mehr als genug Möglichkeiten, um nicht mehrmals jährlich die gleiche Tour gehen zu müssen. Andere Regionen haben andere Hausberge, die auch ihre Vorzüge haben. Man kann sich seine regelmäßige Bergdosis genauso in den Heimatbergen geben kann und mit Motivation sowie gutem Willen immer wieder spannende, exklusive Erlebnisse findet. Klar sind die „großen“ oder bekannten Ziele anders, teilweise auch besonders. Wer sie schnell als Konsumgut in Reihe abhakt, nimmt ihnen aber diesen Reiz. Wer sie sich hingegen bewusst als Highlight setzt und mehr Zeit dafür einplant, der hat mehr davon und eine lange Anreise steht in besserer Relation zum Erlebniswert.

Wenn schon mit Auto, dann wenigstens vollpacken

Für viele Unternehmungen ist es schneller und komfortabler mit dem Auto anzureisen. In diesen Fällen ist schon viel gewonnen, wenn nicht jeder mit seinem eigenen Blechmobil fährt, sondern wenn man möglichst viele Personen in ein Fahrzeug packt. Nichts finde ich schlimmer, als wenn in einer mehrköpfigen Tourengruppe jeder mit seinem eigenen Auto anreist oder jeweils nur zwei Leute drin sitzen. Autos sind eigentlich eine riesige Platzverschwendung - sowohl auf der Straße, erst recht aber auf Parkplätzen. Ein normaler PKW hat vier bis fünf Sitzplätze. Wenn man sich etwas einschränkt und unnützen Krempel zu Hause lässt, kann man den vollen Platz nutzen. Selbst mit meinem Polo hatten wir es geschafft, zu fünft in einen zweiwöchigen Camping-Kletterurlaub in die Bergamasker Alpen zu fahren. Das war zwar nicht bequem aber effizient. Seither hat bei mir die Anzahl der Sitzplätze und ausreichend Stauraum fürs Gepäck beim Autokauf Priorität. Unser Caddy-Maxi ist dafür eine gute Lösung. Regulär mit fünf Sitzplätzen ausgestattet, hat er viel Platz für längere Urlaubsfahrten und optional kann ich eine zweite Sitzbank einbauen und dann noch zwei weitere Personen mitnehmen. Wer in seinem Bekanntenkreis keine Fahrgemeinschaft zu Stande bringt, kann auf verschiedene Mitfahrzentralen zurückgreifen. Wer mal konkret wissen möchte, wieviel CO2 seine Anreise verbraucht, kann das zum Beispiel mit dem CO2 Rechner von Klimaneutral-handeln.de ausrechnen. Allerdings Vorsicht: Die hier ausgerechneten Werte sind nur sehr grobe Näherungen und meistens deutlich zu niedrig. So wird zum Beispiel beim Auto nur die Sprit-Verbrennung gerechnet, weder die CO2 Emissionen bei der Herstellung des Autos, noch die Förderung des Erdöls und die Raffinierung werden einbezogen. Ähnliches gilt für den ÖPNV, wo weder die Herstellung der Züge noch die Infrastruktur (Bahnhöfe, Gleise) berücksichtigt sind. Für realistische Werte sollte man ca. 50% hinzurechnen.

Nutze das Fahrrad wo es geht

Das Fahrrad ist das effektivste Verkehrsmittel hinsichtlich des Energieverbrauchs. Während ein Fahrradfahrer pro 100 Kilometer Strecke ungefähr 3 kWh Energie (bei einem normalen Bike in Form von Muskelkraft oder bei einem E-Bike in Form von Strom) aufwenden muss, sind dafür sogar in einem kleinen, sparsamen PKW etwa 45 kWh erforderlich - also mehr als das 10fache. Selbst mit einem voll besetzten Kleinbus lässt sich der Energieaufwand nicht unter 7 kWh/Person drücken. Gerade für die Alpenrandbewohner bietet das Fahrrad daher vielfältige Einsatzmöglichkeiten und riesiges CO2-Einsparpotential. Wer seine Muskelkraft während der Anreise schonen möchte, kann heutzutage auf  E-Bikes zurückgreifen. In vielen Nahverkehrszügen können Fahrräder mitgenommen werden. Leih-Fahrräder und oder E-Bikes gibt es an vielen Bahnhöfen oder Tourismuszentren. So lässt sich die verbleibende Strecke vom letzten Bahnhof bis hin zum Ausgangspunkt für Autofahrer (Wanderparkplatz) schnell und umweltfreundlich zurücklegen. Der Biker kann aber oft noch weiter den Berg hinaufradeln, so dass man sich zum Beispiel bei einer Klettertour einen langen Hatscher zum Einstieg verkürzen kann. Es gibt jedoch noch viele weitere Vorteile: Als Fahrradfahrer kennt man weder Staus noch Parkplatzprobleme, zahlt keine Parkgebühren, ist leise und kostengünstig unterwegs und wer sportlich denkt, hat noch eine extra Trainingseinheit. Dazu ist das Fahrrad in der Gesamtbilanz deutlich schneller als man oft meinen möchte. Insbesondere wenn man damit lange Abstiegswege spart, kann man eine längere Anfahrtszeit durchaus wieder kompensieren. Also, nur Mut: dreht bei der Tourenauswahl mal den Spieß um. Überlegt Euch, welche Ziele fürs Radl in Frage kommen. Ihr werdet überrascht sein, was alles möglich ist.

Entschleunigung bei der Planung

Eine weit verbreiteter Trend unter Bergsteigern ist es, in jede freie Zeitlücke eine extrem zeitoptimierte Tourenplanung zu pressen. Die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfordert fast immer mehr Zeit, als mit dem Auto, keine Frage. Dazu sind die Anreise- und Rückreisezeiten weniger flexibel. Der Skitourengeher hat bei Frühjahrstouren vielleicht gar keine Möglichkeit rechtzeitig am Ausgangspunkt zu sein, um zum idealen Firn oder wenigstens noch lawinensicher abzufahren. Unter solchen Voraussetzungen wird die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur selten möglich sein. Etwas mehr Qualität statt Quantität beim Setzen der Tourenziele würde dem entgegenwirken. Reduziert man den Druck, möglichst viele der namhaftesten und vermeintlich attraktivsten Ziele seiner persönlichen To-Do-Liste in möglichst kurzer Zeit abzuhaken, wird man flexibler und hat mehr Luft bei der Zeitplanung. Anstatt zweimal am Wochenende von zu Hause stundenlang in die Alpen und am selben Tag wieder heimfahren kann man mehrtägige Aufthalte vor Ort planen. Für Mehrtagesunternehmungen wird auch die Anreise mit Öffis attraktiver, da man pro Tourentag mehr Zeit zur Verfügung hat, wenn man am An- oder Abreisetag ja jeweils nur eine Fahrstrecke hat. Dafür spart man viel CO2 und Streß, unterstützt den lokalen Tourismus und bekommt mehr von seinem Urlaubsort und seinen Menschen mit.

Einige Praxisbeispiele für eine ressourcenschonende Anreise

Skidurchquerungen

Besonders für Gebietsdurchquerungen bietet sich die öffentliche Anreise an, so ist man flexibel in der Routenwahl und spart sich aufwändige Rückholaktionen des Autos.  Beispiel „Skiroute Hochtirol“, die im Ahrntal beginnt und in Kals am Großglockner endet. Mit Zug und Bus braucht man etwa 4,5 h von Rosenheim bis ins hintere Ahrntal, mit dem Auto bei wenig Verkehr 3,5 h. Die Heimreise von Kals nach Rosenheim dauert mit Öffis etwa 4,5 Stunden, mit dem Auto knapp 3 h. Um ein Auto am Ende der Tour aus dem Ahrntal nach Kals zu holen muss man ohne Stau fünf Stunden einkalkulieren. Fazit: Die öffentliche Anreise ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch schneller.

Sportklettern in Arco

Arco ist ein super Sportklettergebiet mit unzähligen Möglichkeiten auf engem Raum. Ist man einmal vor Ort, braucht man eigentlich kein Auto, ja es ist sogar eher hinderlich. An vielen Klettergärten sind die Parkmöglichkeiten spärlich, die Durchfahrt durch den Ort ist von Autos verstopft und mit dem Radl ist man dreimal so schnell, mit einem E-Bike gilt das auch für die längeren Steigungen zu höher gelegenen Klettergärten. Dazu gibt es immer wieder Autoaufbrüche. Bahntickets von München nach Trento gibt’s ab 30 Euro, von dort geht direkt ein Bus nach Arco. In Arco kann man problemlos Bikes und E-Bikes mieten.

Alpinklettern zwischen Kaiser und Wetterstein

Vor über hundert Jahren schon konnte man in einer Stunde mit dem Zug von München nach Kufstein gelangen. Das ist heute noch so und wer sein Bike mitnimmt, radelt vom Bahnhof auf die Kaindlhütte unter der Scheffauer-Nordwand etwa eineinhalb Stunden. Offiziell nicht erlaubt ist der Bikezustieg ins Kaisertal, aber für Kletterer seit Jahrzehnten geduldet und besonders attraktiv. Man spart sich: Stau auf der A8, Parkticket in Kufstein, 2 x Talhatscher durchs Kaisertal. Als Belohnung warten: Kirchl-Westwand, Kleine Halt und andere Schmankerl, sowie zwei tolle Hütten (Anton-Karg-Haus, Hans-Berger-Haus). Genauso funktioniert die Anreise ins Oberreintal im Wetterstein: mit der Bahn nach Garmisch-Partenkirchen, mit dem Radl ins Partnachtal und zu Fuß zur Oberreintalhütte. Oder zur Meilerhütte: Vom Bahnhof Klais über Schloss Ellmau zur Wettersteinalm (11 Km, ca. 550 Hm - ca. 1,5 h) und durchs Angerloch. Oder ins Karwendel zum Hallerangerhaus: vom Bahnhof Scharnitz (18 Km, 900 Hm) bzw. von Deutschland ab dem besser angebundenen Bahnhof in Mittenwald (+ fünf Kilometer). Klassische Beispiele im Voralpenland die mit der Kombination Bahn + Bike vorteilhaft machbar sind: Benediktenwand (vom Bahnhof Benediktbeuern mit Radl zur Tutzinger Hütte in 2 h) oder Hörndlwand vom Bahnhof Ruhpolding durch die Urschlau zum Beginn des Zustiegwegs im Sulzenmoos gut 1 h.

Hochtouren in Zermatt

In der Schweiz ist die Anreise zum Bergsteigen mit den Öffis für viele Einheimische selbstverständlich. Das Verkehrsnetz ist perfekt ausgebaut, pünktlich und komfortabel. Zermatt ist dazu autofrei, das heißt man müsste ohnehin in Täsch sein Auto stehen lassen (16 CHF/Tag) und dann eineinhalb Stunden hinaufwandern oder mit dem Zug fahren. Die Anreise von München mit dem Zug dauert 7,5 - 8,5 h (mit dem Auto ohne Stau ca. 6,5-7 h bis Täsch). Mit langfristiger Vorausplanung gibt es sehr günstige Tickets im Bereich von 30-40 Euro für die einfache Fahrt. Großzügige Überschreitungen zu planen, bei denen Ausgangs- und Endpunkt unterschiedlich sind stellt überhaupt kein Problem dar.

Heimattouren by fair means

Rosenheim liegt am Alpenrand in Sichtweite der ersten Berge. Die Fahrt mit dem Fahrrad kann eine echte Alternative sein, die gegenüber dem Auto oft zeitlich keinen großen Nachteil birgt. Unter dem Label "by fair means" haben solche Unternehmungen überdies auch sportlich einen höheren Wert. So bin ich mit meinem normalen Alltags-Farrad (ohne Motor) in einer Stunde in Aschau am Fuß der Kampenwand und in knapp zwei Stunden hinten am Ende des Jenbachtales unter dem Wendelstein, auf der Heimfahrt gehts bergab, das geht deutlich schneller. Zeitersparnis für eine solche Tagestour mit dem Auto höchstens eineinhalb Stunden. Wenn ich noch ein Stück den Berg hinaufradle sogar weniger.