Saisonfinale in Langtaufers
Eineinhalb Meter Neuschnee und Lawinenwarnstufe 5 hatten wir im Januar bei unserem Kurzurlaub im Langtauferer Tal. Dass wir letztendlich dann nur eine normale Skitour machen und das immense Skitourenpotential nur aus dem Heli betrachten konnten, waren die nachteiligen Folgen dieses extremen Wetterereignisses. Bereits damals reifte aber der Entschluss in uns, die üppige Schneelage im Frühjahr noch einmal für richtige Skihochtouren zu nutzen.
An einem Freitagnachmittag Ende April geht's los. Mit von der Partie ist das bewährte Team: Jule, Berti und Konrad. Nur die Caro ist schon wieder voll im Klettermodus und die möglichen Ersatzleute kränkeln herum, also bleibt es bei vier Personen. Die Fahrt ins Tal vermittelt einerseits das Gefühl, an einen bekannten Ort zurückzukehren, andererseits ist aber auch alles ganz anders als im Januar. Die allermeisten Lawinenkegel sind abgetaut, die Schäden an Wald und Flur großteils schon wieder beseitigt. Alles grünt und im Talschluss zwischen Kappl und Melag liegen prächtige Krokusteppiche auf den Wiesen.
Natürlich sind wir wieder im Langtaufererhof untergebracht. Das Hotel ist ein idealer Ausgangspunkt mit erstklassiger Verpflegung und bietet darüberhinaus jeglichen Komfort für die zweite Hälfte des Tages, da man bei den meisten Frühjahrstouren gegen Mittag wieder zurück ist. Die familiäre Atmosphäre und das freundschaftliche Verhältnis zur Familie Thöni sorgt zudem dafür, dass wir uns hier rundum wohl fühlen.
Der erste Tourentag
Wir haben vier Tage Zeit. Die Wetterprognose ist grundsätzlich gut, aber nicht ohne Tücken. Der Samstag dürfte ganztägig am besten sein, weshalb wir gleich die Toptour auf unserer To-Do-Liste angehen: die Weißkugel. Um 4.45 klingelt der Wecker, um 5.00 Uhr sitzen wir am Frühstückstisch. Noch so Highlight im Langtaufererhof: Bereits zu dieser frühen Stunde steht das volle Frühstücksbuffet zur Verfügung - keine Selbstverständlichkeit in Hotels dieser Kategorie.
Diesmal fahren wir mit dem Auto den einen Kilometer bis Melag, da auf den Wiesen kein Schnee mehr liegt und die Forststraße auf der Schattenseite bereits geräumt wurde. Zwischen Krokussen und Lawinenkegeln wandern wir in der Morgendämmerung zur Melageralm, dann geht's mit Ski auf der hartgefrorenen Schneedecke weiter. An der ersten Steilstufe folgen wir Spuren nach links und müssen entlang der aperen Moräne die Ski ein Stück tragen. Das goldene Morgenlicht lädt zum Fotografieren und Filmen ein, weshalb wir ordentlich Zeit liegen lassen. Diese holen wir auch nicht mehr auf - im Gegenteil. Konrad hat mit seinem Splitboard und den Softboots bei harten Querungen Probleme und muss mehrmals zu Fuß gehen, was weitere zeitaufwändige Rüstpausen erfordert.
So ist es dann doch schon relativ spät als wir endlich am Weißkugeljoch stehen. Quellwolken hüllen uns jetzt in dichten Nebel und im Whiteout queren wir zum Hintereisjoch, wo plötzlich mächtig was los ist. Während wir weitgehend alleine aus dem Langtauferertal aufgestiegen sind, treffen wir hier auf die Aufstiegsroute des Hintereisferners, wo einerseits Tourengeher vom Hochjochhospiz kommen, vor allem aber Liftfahrer aus dem Skigebiet Kurzras aufsteigen. Von dort ist die Weißkugel in wenigen Stunden auch für konditionsschwächere Tourengeher erreichbar.
"Wir kommen nicht mehr mit zum Gipfel!" meint die etwas kränkelnde Jule. Aufgrund des Nebels und der fortgeschrittenen Stunde bleiben meine Begleiter im Joch. Ich fühl mich heute ziemlich gut und während die anderen Pause machen, gehe ich noch schnell die letzten 250 Hm auf die Weißkugel, auf der ich bisher nur im Sommer war. Kaum bin ich im letzten Steilhang, lichten sich die Wolken und bei Sonne erreiche ich das Skidepot. Zum Glück ist der Ansturm schon ziemlich vorbei, die letzte Gruppe steigt gerade zum Skidepot ab, so dass ich den Gipfel ganz für mich alleine habe. Nach kurzer Fotopause kraxle ich zurück zu den Skiern und schwinge hinab zu meinen Freunden.
Als Abfahrt wählen wir die Route über das Bärenbartjoch. Anfangs gehts nach Osten - teils querend - über den Matscher Ferner abwärts, bevor nochmal ein Gegenanstieg von knapp 100 Höhenmetern fällig wird. Es folgt ein Traumhang bei bestem Firn mit 800 Höhenmetern über den Bärenbartferner bis zur Randmoräne. Der Rest ist dann eine Mischung aus Firn, Sulz und stark bremsendem Sommerschnee. Dieser "Kleister" sowie zahlreiche Felsen und Gestrüpp verhindern für unseren Snowboarder Konrad mehrmals, genügend Speed aufzunehmen um die flacheren Stücke durchfahren zu können. Im letzten Stück schindet er sich daher besonders. Diese Mühen sind aber schnell vergessen, als wir über die Krokuswiesen zurück nach Melag wandern und am Hotel werden die verbrauchten Energiereserven bald wieder aufgefüllt.
Der zweite Tourentag
Am Sonntag klingelt der Wecker "erst" um halb sechs. Die Mitterlochspitze ist sozusagen der Hausberge und ohne Flachstücke, Gegenanstieg und sonstige Schikanen sollte man die 1300 Höhenmeter auch in moderatem Tempo zügig hinter sich bringen können, weshalb kein so früher Aufbruch notwendig ist. Außerdem führen die letzten 600 Höhenmeter über die Skipiste ins Tal, wo es ruhig weich sein darf.
"Was ist denn das für ein Wetter?" brumme ich missmutig beim ersten Blick aus dem Fenster. Dicke Wolken hängen an den Bergen, obwohl ein aufgelockerter vormittag prognostiziert war. Die Motivation in der Gruppe ist - auch angesichts der noch vorhandenen Plättung von den 1700 bzw. knapp 2000 Höhenmetern vom Vortag - ähnlich gedämpft wie die nächtliche Abstrahlung der Schneedecke. Allerdings ist für heute eine Tour mit Sepp Thöni dem Hausherrn vereinbart. Berti bleibt im Hotel, Konrad und Jule wollen zumindest das erste Stück mitgehen, um ein paar Filmaufnahmen mit dem Hotelchef auf Skitour zu machen.
Noch bevor wir in Maseben vorbeikommen tröpfel es leicht. Nach dem Filmen verabschieden sich Jule und Konrad. Sepp ist ein starker Tourengeher, der gerne an Wettkämpfen teilnimmt. Obwohl er mir fast 15 Jahre voraus hat, schlägt er ein zügiges Tempo an. Dabei ist er noch merklich weiter von seiner Leistungsgrenze entfernt als ich. Es wird trotzdem ein gemütlicher Aufstieg, auf dem wir uns gut unterhalten. Sepps Bestzeit von 1:45 h verfehlen wir allerdings um Längen. Nach dem anfänglichen Getröpfel kommt zwischendurch sogar die Sonne hervor und die Abfahrt wird viel besser als befürchtet. Zufrieden laufen wir gegen halb 11 wieder am Hotel ein, wo Sepp sofort in der Küche verschwindet und uns zu Mittag eine fantastische Spaghettata serviert.
Der dritte Tourentag
Am Montag bin ich mit Berti alleine, da unsere beiden Freunde heute wieder arbeiten müssen. Zur geplanten Aufstehzeit prasselt der Regen auf das Dach des Langtaufererhofes und wir drehen uns nochmal um und schlafen weiter. Nach 7 Uhr treibt mich dann doch der Hunger zum Frühstücksbuffet und während draußen noch die letzten Tropfen fallen, schiebt sich eine Wolkenlücke mit strahlend blauem Himmel von Westen ins Tal herein. Trotzdem genießen wir das Buffet heute mal ausgiebig, da die Aufnahmekapazität meines Magens um halb 8 doch deutlich höher ist als um halb 6.
Als wir gegen 8.30 Uhr über die Frühlingswiesen von Kappl in Richtung Melagtal marschieren strahlt die Sonne von einem knallblauen Himmel. Die Luft ist kühl und oberhalb 2300 m sind die Berge leicht angezuckert. Kaum zu glauben, dass die bunten Frühlingswiesen vor einer Woche noch schneebedeckt waren. Aber der Rekord-April war im Durchschnitt fast 5 Grad zu warm, das hält selbst die mächtigste Schneedecke nicht lange durch. Trotzdem können wir nach gut 30 Minuten bei der ersten Brücke am Melager Bach die Ski anschnallen. Wir gleiten durch das ursprüngliche Tal nach Süden, oft am bereits offenen, plätschernden Bach entlang.
Die geplante Skigebietsverbindung von Melag ins Kaunertal soll hier durchführen. Aus meiner Sicht wäre es ein Jammer dieses Landschaftsjuwel dafür zu opfern. Jedem Naturliebhaber muss das Herz bluten bei dem Gedanken an Skipisten, Schneekanonen und Seilbahnen in diesem idyllischen Tal. Der Sepp sieht die Sache differenzierter, weil er sich für sein Hotel durch den Skitourismus auch mehr Gäste verspricht - ebenso wäre es für zahlreiche andere Einwohner im Tal evtl. eine Einnahmequellen. Viele Erwerbsmöglichkeiten bietet dieses abgeschiedene Hochtal sonst nicht. Wobei der Charme des Langtauferertales damit unwiederbringlich verloren gehen würde und das Gäste-Klientel wäre auch ein ganz anderes. 2017 hat die Südtiroler Landesregierung zwar die Pläne abgelehnt, der Beschluss wurde aber angefochten. Ganz vom Tisch ist die Sache also noch nicht und spätestens nach einigen Jahren werden die Pläne vermutlich wieder aus der Schublade gezogen.
Unser Ziel ist heute das Weißseejoch - ein einfacher Übergang ins Kaunertal - beziehungweise der westlich davon aufragende unbenannte Gipfel P. 3045 m. Eine wunderbare Skitour, die nur auf den letzten Metern zum höchsten Punkt etwas steiler ist. Wir werden heute mit guter Sicht auf die nördlichen Ötztaler Alpen und einer hervorragenden Abfahrt belohnt. Herrlich ist auch der Abstieg über die Blumenwiesen nach Kappl, Berti sogar barfuß zurück zum Hotel.
Der vierte Tourentag
Nachdem am Dienstag nur vormittags gutes Wetter angesagt ist, peilen wir nochmal einen der näheren Hausberge an. Die Tiergartenspitze ist der steilere Nachbar der Mitterlochspitze und ebenfalls über die Skipiste der Masebenhütte erreichbar. Ich hatte meine Harscheisen zu Hause vergessen, was die letzten drei Tourentage kein Problem darstellte. Heute jedoch vermisse ich sie schmerzlich. Anfangs ist der Schnee oberflächlich noch griffig, aber im steilen Nordhang liegen 2-4 cm Pulverschnee auf der verharschten Oberfläche und ich rutsche bei jedem Schritt seitlich weg. An den steilsten Passagen ziehe ich die Ski aus und stapfe zu Fuß hoch. Berti spaziert hingegen mit den Harscheisen bequem aufwärts.
Vor dem Gipfelhang kapituliert er jedoch vor seinem schmerzenden Knöchel und ich steige das letzte Stück alleine zum höchsten Punkt. Die Abfahrt ist dann eine Klasse für sich. Anfangs carven wir durch die dünne Pulverauflage. Dort wo es flacher wird, geht die Schneequalität schlagartig in perfekten 2cm aufgeweichten Zischfirn über. Gegenüber den letzten Tagen hat es etwas abgekühlt und so hält die Firnqualität bis zum letzten Schwung auf den Schneeresten unten an der Bachbrücke in Kappl an.
Fazit
Trotz des eher wechselhaften Wetters waren die vier Tage ein voller Erfolg. Jeder Tag brachte uns auf einen lohnenden Skigipfel und die Abfahrten waren durch die Bank gut bis sehr gut. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal an die Familie Thöni vom Langtaufererhof für die herzliche Gastfreundschaft und die super Bewirtung.