Komfortskitouren und Heliabenteuer
Skitourenurlaub im Langtauferertal bei seltener Wetterlage
==> Video zu den Skitourentagen
"Wieso geht's hier jetzt bergauf?" frage ich und ernte einen verständnislosen Blick von Caro. Vor lauter Ratschen haben wir im Dunkeln die Ausfahrt zum Reschenpass versäumt und sind schon auf der Arlbergschnellstraße. Die nächste Ausfahrt führt ins Patznauntal mit dem Ort Galtür, der 1999 von einer gewaltigen Lawine getroffen wurde. Noch ahnen wir nicht, dass uns die nächsten Tage noch daran erinnern werden.
Wir wechseln an der Ausfahrt wieder die Fahrtrichtung und sind mit 15 Minuten Zeitverlust im Landecker Tunnel. "Hoffentlich schaffen wir es noch zum Abendessen" bangt Caro, für das wir bis etwa bis 20.30 Uhr vor Ort sein sollen.
Unser Ziel ist das Langtauferer Tal in den westlichen Ötztaler Alpen, nahe des Reschenpasses. Sepp Thöni, Chef vom Langtaufererhof und begeisterter Tourengeher, hat mich eingeladen, die Skitouren des Langtauferer Tales zu erkunden. Caro, Berti, Konrad und Jule begleiten mich. Jan Piepenstock - Autor des Skitourenführers Ötztaler Alpen - sagt in letzter Minute wegen Krankheit ab. Wenige Minuten nach halb neun stehen wir am Parkplatz, der von meterhohen Schneewänden gesäumt ist und kurz darauf sitzen wir schon beim feinen 5-Gänge-Menü im Restaurant.
Der erste Tourentag
Am Samstagmorgen beim Frühstück planen wir die erste Tour. Sepp gibt uns den Tipp in Richtung Glockhauser zu marschieren. Die Lawinensituation ist durchaus heikel - Stufe 3 versprechen uns sowohl der Südtiroler als auch der Nordtiroler LLB (der Gipfel des Glockhauser liegt genau auf der Grenze). Bis auf den ersten Hang über dem Ort und dem Gipfelhang muss kein Gelände über 30 Grad betreten werden. Allerdings können Fernauslösungen nicht ganz ausgeschlossen werden, vor allem in Schattenhängen. Von Sepp erfahren wir, dass an den Touren über dem Hotel zumindest der sonst in der letzten Woche verbreitete Oberflächenreif kein Thema war.
Voller Tatendrang marschieren wir vom Hotel über die flachen Wiesen los. "Wwwwwummm" sagt die Schneedecke nachdem wir gerade mal 30 Schritte gegangen sind. Während ich leicht ansteigend zur Bergstation des ehemaligen Schleppliftes von Melag quere, wiederholt sich das Spiel noch zigmal. Entsprechend vorgewarnt lege ich die Spur über den folgenden Hang entlang eines sicheren Rückens und stelle erleichtert fest, dass die Setzungsgeräusche in den etwas steileren Passagen nicht mehr auftreten. Bei diffusem Licht müssen wir nun einen engeren Taleinschnitt passieren - eine klassische Geländefalle. In großen Abständen durchqueren wir den Abschnitt und erreichen einen flachen Talboden vor der nächsten steileren Stufe. Ein kurzer Blick in die Schneedecke zeigt uns eine aufgebaute Schwachschicht unter den obersten 30-40 cm Pulverschnee. Den folgenden, bis zu 30 Grad steilen, Hang überwinden wir daher wieder in großen Entlastungsabständen.
Nachdem wir bisher diffuses Licht unter verschleiertem Himmel hatten, reißt es jetzt mehr und mehr auf. "Ist das geil hier, schauts Euch des an" jubelt Konrad begeistert. Einsame, unverspurte, tief verschneite Winterlandschaft und blauer Himmel - sogar die Weißkugel läßt sich kurz blicken. Unsere gedämpften Erwartungen für den Tag wurden jetzt schon übertroffen. Als der Gipfelhang das erste Mal in Sichtweite kommt schwindet allerdings die Euphorie. Viel Triebschnee und bereits ein kleines spontanes Schneebrett mahnen zur Vorsicht. Als dann erneut die Schleierwolken das Licht diffus machen, schwenke ich auf Plan B um und ziehe nach links in eine Scharte und zu der unscheinbaren Erhebung, die in der Karte als "Roter Schragen (2849 m)" bezeichnet wird.
Auf den 1000 Höhenmetern hinab zum Langtauferer Hof ist dann kein einziger schlechter Schwung dabei. Nur unser Splitboarder Konrad flucht ein paarmal, als er bei kurzen Flachstücken aus der Bindung muss und bis zum Oberschenkel einbricht. Ansonsten malen wir unsere Spuren in feinsten, jungfräulichen Pulverschnee und schwingen direkt vor der Hoteltüre ab. "Und jetzt ab ans Kuchenbuffet" strahlt Jule. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und gehen zum gemütlichen Teil des Tages über.
Der große Schneefall
Für die Nacht auf Sonntag sind 15 bis 30 cm Neuschnee angekündigt. Als ich am Morgen aus dem Fenster schaue, traue ich meinen Augen kaum. Von den Autos am Parkplatz ist nichts mehr zu sehen. Gut 60 cm frischer Pulverschnee haben sie zugedeckt. Etwa 100 m östlich des Hotels befindet sich ein Lawinenstrich, durch den in der Nacht bereits eine große Lawine abgegangen ist. Am Frühstückstisch liegt ein Informationsblatt: "Guten Morgen liebe Gäste - die Lawinenkommission hat die Langtauferer Straße auf unbestimmte Zeit gesperrt". Wir sind eingeschlossen und die Lawinengefahr wurde auf Stufe 4 hinaufgesetzt. Die Heimreise am Montag wird dann wohl noch nicht möglich sein.
Eigentlich war geplant, bei zu kritischen Verhältnissen im Tal zum Reschenpass zu fahren und uns dort alternative Touren zu suchen. Das geht nun nicht mehr. Also wieder ein Plan B. Vom Hotelchef Sepp Thöni lasse ich mir eine weitgehend lawinensichere Aufstiegsmöglichkeit zur Masebenhütte erklären. Diese liegt oberhalb des Waldgürtels am Nordhang des Tales. Der Hüttenwirt fährt am morgen nochmal mit dem Ratrac hinauf - dieser Trasse können wir allerdings nicht komplett folgen, da sie lawinengefährdet ist. Dort wo wir abzweigen müssten wartet bauchtiefe Spurarbeit. Bei dichtem Schneefall und fehlender Sicht entscheiden wir uns dazu, auf den Kaffee an der Masebenhütte zu verzichten und dafür mehrmals durch den Wald hinabzupowdern.
Früher als erwartet trudeln wir wieder am Hotel ein, wo es zum Glück ein vielfältiges Angebot gibt. Nach dem obligatorischen Kaffee mit Kuchen widmet sich jeder seiner Lieblingsbeschäftigung - von Sauna über Whirlpool am Dach bis hin zum Tischfußball ist alles geboten. Nur die Massage entfällt, da der Masseur nicht im Hotel wohnt und aufgrund der Lawinengefahr nicht zu seinem Arbeitsplatz gelangen kann.
Aufstieg zum Gasthaus Maseben
In der Nacht auf Montag soll sich der Schneefall wieder verstärken. Weitere 50-100 cm Neuschnee werden bis Dienstag früh erwartet - und das auf den noch nicht gesetzten Pulverschnee vom Vortag. Eher erleichtert stellen wir fest, dass Montag morgen "nur" rund 25 cm Neuschnee hinzugekommen ist. Den ganzen Tag im Hotel sitzen ist für uns keine Alternative - auch wenn wir uns von hysterischen Mietern einer benachbarten Ferienwohnung lautstarke Beschimpfungen ob unseres "unverantwortlichen Leichtsinns" anhören müssen. Da wir aber nicht lebensmüde sind, bleibt zumindest der Waldhang in Richtung Maseben.
"Schaut mal - da spurt schon wer rauf" teile ich erfreut meinen Freunden mit. Tatsächlich wühlen sich gerade vier Personen durch den bauchtiefen Schnee entlang der ehemaligen Pistenschneise in Richtung Maseben. Wir lassen uns erstmal Zeit und gerade als wir starten, kommen die vier Leute schon wieder heruntergschoben. Die Aufstiegsspur endet nach vielleicht 100 Höhenmetern. Jetzt bin ich dran und wühle mich hinauf, bis zur verschneiten Ratracspur nahe unseres Umkehrpunkts vom Vortag. Erstmal reicht's mir und wir powdern wieder hinab ins Tal.
Es herrscht weiterhin dichter Schneefall. Die Temperatur ist merklich angestiegen, der Neuschnee ist nicht mehr pulvrig sondern pappig. Trotzdem entscheiden wir uns für eine weitere Runde und steigen nochmal in der vorhandenen Spur auf. "Vielleicht kommen wir doch noch bis zur Mittelstation" sage ich und wühle weiter bergauf, bis wir die flachen Almwiesen mit der stillgelegten Seilbahn erreichen. Das ist zwar durchaus anstrengend aber geht besser als befürchtet. "Dort oben müsste die Ratrac-Spur verlaufen" deute ich durch den Schneefall zu einer sichtbaren Wegtrasse. Als ich diese endlich erreiche reduziert sich die Einsinktiefe schlagartig von 70-90 cm auf etwa 30 cm. Nun kommen wir zügig voran, auch weil mich Caro beim Spuren unterstützt und der Schnee mit zunehmender Höhe pulvriger wird.
Die Situation verschärft sich
Bis zum Abend hat es nochmal ungefähr 20 cm geschneit, dann geht der Schneefall in Regen über. Der Lawinenlagebericht gibt für die Nacht und den folgenden vormittag Stufe 5 aus - die höchste Gefahrenstufe, die nur ungefähr alle 10 Jahre vorkommt. Na das haben wir ja gut erwischt. Wir sitzen gerade beim Abendessen, als es dunkel wird. Stromausfall. Kurze Zeit später kommt das Licht zwar wieder - aber es läuft der Dieselgenerator. Das Handynetz ist tot, WLAN funktioniert aber mit dem Strom wieder. Vom Sepp erfahre ich, dass talauswärts mehrere Lawinen abgegangen sind unter anderem wurde auch ein Haus zerstört.
In der Nacht ist der Generator aus, kein Licht, kein WLAN, kein Handynetz. Für viele eine verstörende Situation, ich hab kein Problem damit. Ist ja auch nichts anderes als auf vielen Winterräumen. O.k. in einem 4-Sterne-Hotel erwartet man das vielleicht weniger. Kurz nach 7 Uhr am Morgen wird der Generator angeworfen und alles ist wieder wie gehabt. Die meisten Gäste kleben an ihren Smartphones und schon machen die ersten Meldungen ihre Runde. "Der Langtauferer Hof wurde von einer Lawine verschüttet" lautet eine davon. Beim Blick vor die Tür zeigt sich ein strahlend sonniger Wintertag. Man sieht zwar mehrere abgegangene Lawinen, aber keine die auch nur annähernd das Hotel hätte erreichen können. Sogar der Lawinenkegel vom Sonntag 100 m östlich ist schon wieder zugeschneit.
Dann heißt es plötzlich: "Das ganze Tal wird evakuiert - Anweisung aus Rom." Bald knattern die Hubschrauber durchs Tal und setzen einige Bergrettungsleute ab, die vor Ort die Evakuierung organisieren sollen. Nur Handgepäck kann mitgenommen werden. Meine Frage, ob es nicht möglich sei, die Skitourenausrüstung mit hinauszutransportieren, damit wir dann wenigstens draußen noch was machen können wird nicht wirklich goutiert. Wir warten in der Sonne vor dem Hotel, bis wir an der Reihe sind, das Weißbier geht auf Kosten des Hauses.
Die Evakuierung
Auf einmal geht es ganz schnell. "Gruppe 7" wird aufgerufen, das sind wir. Wir marschieren zum Landeplatz und werden von den Carabinieri hin und her geschoben. Der große Militärhubschrauber landet, ist aber schon zur Hälfte mit Carabinieri besetzt, so dass nur 4 Personen reinpassen und die ursprüngliche Gruppeneinteilung nicht funktioniert. Dann nehmen wir eben die nächste Maschine. Auch die ist schon gut belegt, aber immerhin haben 5 Leute Platz. Ich sehe jedoch, dass es schwierig geworden wäre mit den Skiern.
Der Flug ist etwas enttäuschend. Ich hatte gehofft, ein paar Bilder machen zu können, aber leider fliegt der Heli zu tief für Panoramabilder und zu nah am Hang, um das Tal gut zu sehen. Der Berti hat auf der anderen Seite den besseren Platz. Nach höchstens 10 Minuten landen wir in St. Valentin auf der Haide, wo uns der örtliche Zivilschutz in Empfang nimmt. Hier ist alles bestens organisiert, wir bekommen auch gleich was zu essen und ein Quartier zugewiesen. Mit dem Feuerwehrauto werden wir schließlich zum Appartementhaus "Sonnenhof" hingebracht, wo uns die Hausherrin Maria die nächsten Tage bestens beherbergen wird.
St. Valentin auf der Haide
Jetzt sitzen wir hier und wissen nicht so recht wie es weitergehen soll. "Der Reschenpass ist noch gesperrt - mit dem Zug über Bozen dauerts gut 7 Stunden bis München" hat Berti herausgefunden. "Ich bleibe in jedem Fall da und leihe mir gleich mal Langlaufskier" fährt er gut gelaunt fort. Bei uns anderen ist die Laune weniger gut. Bis auf Caro kann sich mit dem Langlaufen keiner so recht anfreunden. Gegen Abend kommt dann die Mitteilung, dass die Straße voraussichtlich am nächsten Nachmittag wieder geöffnet werden soll. Nachdem wir noch herausgefunden haben, dass man im Ort Tourenski ausleihen kann wendet sich das Stimmungsblatt wieder und Konrad kocht uns zum Abendessen ein leckeres Risotto in unserem Appartement.
Am Mittwoch herrscht wieder strahlender Sonnenschein. Wir haben zwar kein Auto, keine Karte und die Lawinenlage wird offiziell immer noch mit 4 ausgegeben, aber ich bin zuversichtlich, dass wir eine schöne Tour machen können. Die beiden Jungs beim Verleih sind offensichtlich keine Tourengeher und daher von der Idee nicht so begeistert, aber sie geben uns die gewünschte Ausrüstung. Die Tour auf den Schafberg wird dann ein voller Erfolg mit Abfahrt im bauchtiefem Pulverschnee durch steilen Wald.
Nach der Tour warten wir gespannt auf eine Nachricht zum Fortschritt der Räumungsarbeiten. Anfangs heißt es, um 16 Uhr soll die Straße geöffnet werden. Gegen 17.30 kommt dann die Info: "Die Straße ist zwar jetzt geräumt, aber noch nicht freigegeben. Sie wird erst am Morgen geöffnet". Die Enttäuschung ist groß und wir entscheiden, die Gruppe aufzuteilen. Jule, Caro und Konrad fahren heute noch mit dem Zug heim, Berti und ich fahren dann am Donnerstag die Autos heim. Als die anderen dann schon weg sind gibt es die neue Info "Die Straße wird um 21 Uhr geöffnet". Wir entscheiden uns aber die Nacht noch in St. Valentin zu verbringen und genießen noch die hervorragenden Pizzas in der Pizzeria "Katrin".
Die Heimfahrt
Am nächsten morgen telefoniere ich mit dem Vizekommandanten der Feuerwehr, der uns im Anschluss abholt und zum Langtaufererhof bringt. Das Ausschaufeln der beiden Autos erfordert eine gute Stunde Arbeit, aber letztendlich haben wir an dem Tag sonst nichts mehr vor und so verabschieden wir uns um die Mittagszeit von der Familie Thöni und dem Langtauferer Hof. Bei der Fahrt aus dem Tal stoppen wir noch einige Male, um die außergewöhnlichen Schneeablagerungen zu begutachten - schließlich gibt es solche Wetterlagen in den Alpen im Durchschnitt höchstens alle 10 bis 20 Jahre . Wir machen noch einige Fotos und sind nach etwa dreistündiger Fahrt wieder zu Hause in Rosenheim.
Video zu den Tourentagen im Langtauferer Hof.
Jule und Konrad von Adventure-Routine haben ein super Video gedreht: