Rofan-Skitour mit Öffis
"Wir kaufen ein Ticket für Dich mit - einfach einsteigen" ploppt am Freitag abend eine Nachricht auf dem Handy auf. Sie kommt von Michael Vitzthum. Michael ist ein Münchner Hobbybergsteiger, der es in den letzten Jahren zu einer gewissen Bekanntheit geschafft hat. Der Grund dafür sind aber keine außergewöhnlichen alpinen Heldentaten - im Gegenteil: Die meisten Ziele die er ansteuert gehören zum Standardrepertoire Zehntausender Münchner Bergfreunde. Das Besondere an seinen Touren ist jedoch der Fokus auf dem Gesamterlebnis und seine Postings in den Sozialen Medien mit sehr guten, aber wahrlich "schägen" Bildern. Daher freut es mich ungemein, dass es an diesem Samstag jetzt mal mit einer gemeinsamen Skitour klappt.
Anreise mit Öffis
Um 7.15 Uhr schmeiße ich meine Tourenski in den Radlanhänger. Wenig später bin ich am Bahnhof, fünf Minuten vor Abfahrt des Zugs. "Drecksding" fluche ich als der Gummi meiner Corona-Schutzmaske ausreißt, während ich in Richtung Bahnsteig eile. Daher mache ich wohl einen etwas gestressten Eindruck als ich am Zug ankomme. "Ich hätte die Tür schon aufgehalten" beruhigt mich Michael, der zusammen mit Angie und Claus im Zug aus München schon auf mich gewartet hat. Zuerst noch schnell die Ausrüstung verstauen und dann die Freunde begrüßen - erst danach wird die Maske geflickt. Schon sind wir unterwegs, in Kufstein müssen wir umsteigen. Es gibt viel zu erzählen, die Zeit vergeht wie im Flug, plötzlich sind wir in Jenbach.
Es sind nur wenige Minuten bis zur Abfahrt des Busses nach Maurach. "Angie nach rechts, dort fährt der Bus ab" dirigiert unser Öffi-Profi in der Unterführung. Oben angekommen ist weit und breit kein Bus zu sehen. "Schau mal - da steht 'Bus-Terminal!' " weise ich auf ein Schild hin, das auf die andere Seite zeigt. Manchmal kann zu viel Erfahrung auch ein Nachteil sein, zum Beispiel wenn sich etwas ändert und zielsicher die Beschilderung ignoriert wird. Wir erwischen den Bus trotzdem. Eine Viertelstunde später schnallen wir in Maurach die Ski an.
Aufstieg aufs Rofan-Plateau
Entlang der Skipiste gehts zu einer Kurve, in der geradeaus ein Sommerweg mit Skispuren weiterführt. "Da sind wir letztes Mal rauf - des war a bissl haklig" meint Angie. So etwas hört sich für mich spannender an, als der Skipiste zu folgen. Schnell wird klar, was sie mit "haklig" meint. Ein paar Bachbetten ohne Schnee sind zu queren. Danach wird das Gelände steiler und der Wald dichter. Bald folgen wir einem schmalen, eisigen Wanderweg, auf dem es eigentlich nur zu Fuß sinnvoll zu gehen ist. Mit Ski auf der Schulter bzw. am Rucksack kommen wir dafür schnell höher und kurz unter der Bucheralm steigen wir wieder auf die Ski um. Der Mauritzlift ist nicht in Betrieb und so steigen wir über die verlassene Variantenabfahrt ohne Gegenverkehr hinauf aufs Hochplateau zur Mauritzalm.
Seekarlspitze (2261 m)
"Ich würd' jetzt gern was trinken" sagt Michael. Daher steuern wir ein kleines Hütterl mit sonnseitiger Hausbank an. Strahlender Sonnenschein und Karwendelblick, ein Vorweihnachtstag wie aus dem Bilderbuch. Dazu ist das gesamte Rofangebirge einsam wie selten. Die Seilbahn und ein kleiner Lift oben an der Erfurter Hütte sind zwar in Betrieb, aber außer einer Hand voll Pistler und wenigen Schneeschuh- und Tourengehern sind weit und breit keine Menschen zu sehen. Auf unserem Weiterweg zur Seekarlspitze begegnen uns ganze vier Tourengeher und auf dem Gipfel treffen wir zwei weitere an - das wars dann. Für hiesige Verhältnisse gähnende Leere.
Übergang über die Grubascharte
Die Abfahrt über den Südhang ist überraschend gut, nur an den flachen Stellen hat's Bruchharsch. Das geniale Wetter verleitet dazu alle paar Meter Fotos zu machen. Michael hat heute eine neue Kamera dabei und zelebriert das sehr ausgiebig. Hinzu kommt die gemütliche Mittagspause und die Gipfelpause auf der Seekarlspitze, so dass die Zeit rasch voranschreitet. Nach der Abfahrt zur Grubalacke war eigentlich noch der Aufstieg zur Rofanspitze geplant. Als wir den ersten Teil des Gegenanstiegs hinter uns haben, fällt der Blick von der Grubascharte auf den oberen Teil der Abfahrtsroute. "Ui - da wird's aber schon ganz schön schattig" bemerke ich. Die Sonne steht im Dezember einfach verdammt tief. So entscheiden wir uns, den Gipfel diesmal links liegen zu lassen und gleich die Abfahrt anzutreten.
Abfahrt nach Wiesing
Die Entscheidung erweist sich als goldrichtig. In den südwestexponierten Hängen können wir bis zur Alpiglalm noch herrlichen "Dezemberfirn" genießen - eine Stunde später wäre das mit Sicherheit grausliger Bruchharsch gewesen. Wir sind komplett alleine in der grandiosen Landschaft und die Abendsonne taucht die felsigen Berge in ein rot-oranges Licht. Einmal im Schatten angekommen, ist es schnell vorbei mit dem guten Schnee. Zum Glück gibts nun eine Fahrstraße, allerdings nerven die festgefrorenen Fußstapfen einiger Wanderer, die den Schnee perforiert haben. Aber je weiter wir talwärts kommen, umso besser ist die Straße ausgefahren und gemütlich schwingen wir auf ihr zuletzt bis zum Astenberg hinab. Mit zweimal kurz abschnallen können wir über die flachen Wiesen noch weiter bis zum Waldrand auf 680 m Meereshöhe abfahren, kurz oberhalb der Rofansiedlung.
Zeit zur Einkehr
Michael möchte jetzt unbedingt einen Kaffee. "Da unten ist der M-Preis" weist er nach links hinab in Richtung Autobahn zum mäßig attraktiven Gewerbegebiet, 500 m entfernt. Geradeaus lockt hingegen das malerische Ortszentrum von Wiesing mit der Dorfkirche im dämmrigen Abendlicht. "Dort wird's doch sicher auch ein Cafe oder Restaurant geben" schlage ich vor. Der "Dorfwirt" von Wiesing ist dann ein Volltreffer. Anders als der Name vermuten läßt, wird man dort nicht mit Schweinsbraten und Schnitzel abgespeist, sondern es gibt richtig leckeres Essen - von vegan über vegetarisch bis zum Hirschbraten. Daher pfeiffen wir erstmal auf den nächsten Rückfahrzug, lassen es uns gut gehen und unterstützen die örtliche Qualitätsgastronomie.
Die Heimreise
Irgendwie müssen wir aber dann doch noch nach Hause kommen. Die zwei Kilometer zum Bahnhof könnten wir mit dem Bus zurücklegen. Nachdem wir aber noch genug Zeit haben, entscheiden wir uns für einen Verdauungsspaziergang an diesem herrlichen Vollmondabend. Leider endet am Ortsende von Wiesing auch der Bürgersteig. "Auf der anderen Seite der Wiese müsste es einen Wanderweg geben, der zum Bahnhof führt" erinnere ich mich vage ans Kartenstudium vom Vortag. Michaels Handy sagt das gleiche. Im Dunkeln stolpern wir über die Wiese und finden den Wanderweg. Irgendwann stehen wir im Dunkeln vor einem Bauzaun, wir haben wohl eine Abzweigung verpasst. Es führen aber Spuren an der Absperrung vorbei, wir folgen ihnen und landen wieder an der Hauptstraße wenige Meter vor Jenbach. Der Umweg hat uns etwas Zeit gekostet und wir müssen unser Tempo beschleunigen um rechtzeitig am Bahnhof zu sein.
Als kurz darauf der Zug einfährt, hätte ich vor lauter Ratschen meine Ski fast noch am Bahnsteig stehen gelassen - aber es gibt zum Glück aufmerksame Einheimische, die drauf achten, dass nichts liegenbleibt. Eine Stunde später verabschiede ich mich von meinen Tourenkameraden, steige ich in Rosenheim aus und radle gemütlich heim. Ein ausgefüllter Tag und wieder einmal ein unbezahlbares Gesamterlebnis, wie man es eigentlich nur bei Öffi-Skitouren geboten bekommt.
Infos zur Tour
Toureninfo: Die Skitour wird in meinen Büchern Best of Skitouren, Band1 und Münchner Skitourenberge ausführlich beschrieben. Hier gibt es den Bericht zu den Schneeverhältnissen die wir vorgefunden haben.
Zugverbindung: Jenbach ist auf der Inntalstrecke von München über Rosenheim gut erreichbar. Es gibt einen Schnellzug, der alle zwei Stunden fährt, der erste ist um 9 Uhr dort. Das würde zeitlich noch passen, leider fährt der Bus zum Ausgangspunkt nach Maurach 5 Minuten vorher ab. Daher bleibt nur der Nahverkehr. Ich bin um 7.30 in Rosenheim in den Zug gestiegen. Mit einmal umsteigen in Kufstein waren wir um 8.50 in Jenbach, wo der Anschlussbus nach Maurach wenige Minuten später abfährt.
Fahrscheine: Das Fahrkartenthema ist ein fürchterliches Chaos. Österreich hat zwar supergünstige Jahres-, Monats- und Wochentickets, die pauschal in allen Verkehrsmitteln gelten (3 Euro/'Tag für ganz Österreich, 1,50 Euro für Tirol). Für auswärtige Tagesgäste gilt aber das gleiche wie in Deutschland: Man muss sich durch unzählige Angebote wühlen, wo oft nicht ersichtlich ist, was nun für die Strecke, die man zurücklegen möchte, gültig ist und welche Fahrkarte einen angemessenen Preis bietet. Wir hatten dieses Mal ein Bayernticket für die bayerische Seite und ein "Einfach-Raus-Ticket" für die tiroler Seite, wobei man damit aber den Bus nochmal extra zahlen muss.
Kosten: Fährt man als Gruppe mit der Bahn, ist der monetäre Kostenvorteil der Öffis gegenüber einer Fahrgemeinschaft mit dem Auto dahin. Wir haben zu viert etwa 100 Euro an Fahrkosten ausgegeben. Mit einem günstigen PKW vom Nordwesten Münchens über Rosenheim (300 km x 25 bis 30 Cent) + Pickerl + Parkgebühr käme man ungefähr auf das gleiche.