Selbstversuch: Mehrtages-Familienskitour mit ÖPNV
Der späte Wintereinbruch hat uns für Anfang der Osterferien noch einmal die Möglichkeit aufgetan, mit der Familie für ein paar Tage auf eine kleine private Selbstversorgerhütte im Mangfallgebirge zum Skitourengehen zu fahren. Der Ausgangspunkt ist am Spitzingsee. Mit dem Auto wären wir dort in 30 Minuten - aber das haben wir in diesem Winter schon mehrmals gemacht, daher wird es uns zu langweilig. Auch aus Klimaschutzgründen sollten wir öfter mal raus aus unserer Komfortzone. Bei dieser Mehrtagesaktion spielt der Zeitfaktor keine Rolle, weshalb wir dieses mal versuchen wollen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Spitzingsee zu fahren. Für mich alleine ist das nichts Besonderes, da ich öfter Skitouren mit dem Zug mache - aber mit der Familie mit den beiden Kindern (7 und 10 Jahre) - und mit dem vielen Gepäck das man bei vier Tagen Selbstversorgung zwangsläufig hat, eine Herausforderung die wir testen wollen.
Der Caddy bleibt also im Carport. Wir packen Ski, Stöcke sowie die Skischuhe der Kinder in den Fahrradanhänger, da sie sich schwer tun, damit zu radeln. So strampeln wir die drei Kilometer zum Bahnhof Rosenheim. Im nagelneuen Fahrrad-Parkhaus stellen wir die Räder ab, die Kinder schlüpfen in ihre Skischuhe und stapfen dann zum Bahnsteig. Ich mache noch einen Umweg zum Fahrkartenautomat um ein Ticket zu besorgen. Der Automat bietet eine Art "Bayernticket" für Meridian und Oberlandbahn an, das wenige Euro günstiger ist. Da wir nur mit diesen Zügen fahren müssen, kaufe ich das Ticket für 30 Euro. Es wäre auch keine Zeit noch lange Alternativen zu vergleichen, da in vier Minuten unser Zug fährt.
Im Schneckentempo zuckelt der Meridian von Rosenheim nach Holzkirchen und hält dabei an jedem zweiten Misthaufen. Unser Wohnort liegt für Skitouren mit ÖPNV eigentlich nicht schlecht. Mit den Fernzügen durchs Inntal nach Innsbruck und auf der Salzburger Strecke Richtung Bischofshofen erreicht man attraktive Ziele in relativ flottem Tempo. Durch die geschlossenen Grenzen bringt uns das heuer nur nichts. Um in das nahe gelegene Mangfallgebirge zu kommen müssen wir aber zuerst einmal die altertümliche Strecke durch das gleichnamige Tal aufwärts fahren und von dort geht es dann - ebenfalls wie im vorigen Jahrhundert - in Dieselloks der Oberlandbahn weiter. Insbesondere ins Leitzachtal eine sehr laaaangatmige Reise, wofür ich mit dem Fahrrad kaum länger brauche. Mit Gepäck und Kindern kommt das aber natürlich nicht in Frage und wir wollen es ja bewusst ausprobieren.
Wir steigen in Holzkirchen aus und es gibt keinen Anschlusszug zum Schliersee. Am Wochenende bietet der französische Betreiber Transdev nur am frühen Vormittag Anschlüsse. Der jetzt zur Mittagszeit einfahrende Zug aus München fährt nur nach Tegernsee und Lenggries - wieso auch immer. Also warten wir eine Dreiviertel Stunde auf unseren Zug. Aber wie gesagt, die Zeit ist an diesem Tag nebensächlich und aher studieren wir das unterhaltsame Areal des Holzkirchener Bahnhofs. Endlich fährt unser Zug ein und bringt uns dann auch irgendwann bis Neuhaus am Schliersee. Hier müssen wir in den Bus zum Spitzingsee umsteigen.
Vom Bayernticket sind wir es gewohnt, dass man damit auch die Anschlussbusse nutzen kann. Da das Pauschalticket der BOB nur wenige Euro günstiger ist, dafür aber ausschließlich auf deren Strecken (die im Vergleich zum Bayernticket ja mickrig sind) gelten, erwarten wir, dass dies natürlich auch damit der Fall ist. Denkste! Der Busfahrer erklärt uns, dass nur das "echte" Bayernticket auch in den Bussen gilt. Wir müssen also nochmal extra bezahlen. Die BOB hat uns hier also eine Mogelpackung untergejubelt, die ihr Geld nicht wert ist. Der Busfahrer verkauft uns für neun Euro ein "Gib mir 5"-Ticket und behauptet "Das gilt im ganzen Landkreis Miesbach für bis zu fünf Personen". Wir wollen aber nicht durch den ganzen Landkreis Miesbach, sondern nur die sieben Kilometer hinauf zum Spitzingsee. Weil er uns erzählt, dass es für zwei Erwachsene und zwei Kinder trotzdem günstiger ist als Einzelfahrkarten und ich das nicht nachprüfen kann, kaufe ich das Pauschalticket.
Der Bus des RVO fährt offensichtlich permanent auf der Strecke Schliersee - Spitzingsee. Der Spitzingsee ist nicht nur ein extrem beliebtes Skitourengebiet, sondern in normalen Wintern auch ein Skigebiet. Es ist anzunehmen, dass so ein Bus durchaus von Fahrgästen mit Skiausrüstung bestiegen wird. Im Bus findet sich allerdings keine sinnvolle Möglichkeit die Ski abzustellen, ohne dass diese bei jeder Kurve quer durch den Bus rutschen. Als einer unserer notdürftig mit den Rucksäcken gesicherten Skiern umfällt schnauzt uns der Fahrer an, dass wir die Ski gefälligst festhalten müssen. Letztendlich muss einer von uns also während der ganzen Fahrt bei den Skiern stehen bleiben.
Nach 2,5 h Fahrzeit reissen wir uns die für korrupte CSU'ler einträglichen FFP2 Masken vom Gesicht und schnaufen erleichtert durch. Wir sind am Spitzingsee!!! Für die 39 Euro einfache Fahrt bekamen wir immerhin einiges geboten. Wir schultern unsere Rucksäcke, schnallen die Ski an und los gehts. Die nächsten Tage machen wir mehrere schöne Skitouren und erholen uns auf der Hütte. Das ist auch nötig, wir haben ja u.a. noch die Heimreise vor uns.
Nach vier Tagen Einsamkeit schwingen wir durch den buckligen Lochgraben hinab zum Spitzingsee. Beim Abschnallen der Ski an der Talstation der Taubensteinbahn fährt gerade der Bus vorbei. Taleinwärts, das heißt in 5-10 Minuten müsste er wieder kommen und uns hinab zum Schliersee mitnehmen. Wir kaufen wieder das bewährte "Gib mir 5 Ticket" für 9 Euro, stapeln unsere Skiausrüstung so überlegt in den Bus, dass nur eine Person stehen muss, um sie festzuhalten und die anderen sitzen können. Am Bahnhof in Schliersee steigen wir um in den Zug. Wir schauen uns nochmal das "Gib mir 5 Ticket" an. Auf diesem steht "DB" und "RVO" "gültig nur im Lkr. Miesbach für maximal 5 Personen". Für uns ist sonnenklar, dass wir damit jetzt bis Holzkirchen fahren können und dort ein Zugticket nach Rosenheim lösen müssen.
Kurz nach Abfahrt des Zuges kommt ein Schaffner, ich zeige ihm das Ticket und er sagt nur "Was ist das?" Es entspinnt sich eine längere Diskussion in der er uns erklärt, dass der Zug nichts mit der DB zu tun hat und unser Ticket daher nicht in diesem Zug gilt und er uns jetzt pro Person 60 Euro Strafe aufbrummen müsste. Aber weil er "so kulant" ist, müssen wir nur einmal 60 Euro bezahlen und das Ticket von Schliersee bis Holzkirchen müssen wir auch nicht mehr kaufen, weil er uns das im Zug nicht verkaufen darf/kann/will. Auf die Frage woher wir wissen sollten dass dieses Ticket nicht gültig ist, meint er nur "Das müsste ihnen doch klar sein, dass man niemals für 9 Euro die ganze Strecke bis Holzkirchen mit fünf Personen fahren kann". Aha! Und: "Wenn sie mit dem Zug nach Dortmund fahren wollen, müssen sie sich auch informieren, welches Ticket dafür gilt" Aha! Na immerhin gibts bei der BOB qualifiziertes Personal mit überzeugenden Argumenten. Warum zur Hölle sollte ich jemals nach Dortmund fahren wollen?
In Holzkirchen gibts dieses mal immerhin einen Anschluss nach Rosenheim. Ich löse nochmal für 18 Euro zwei Einzelfahrkarten bis Rosenheim und wir tuckern gemütlich durch das Mangfalltal nach Rosenheim. Vom Spitzingsee bis zur Haustüre immerhin nur gut 2 Stunden, dafür aber 87 Euro für die einfache Fahrt.
Fazit: Mit Kindern einen mehrtägigen Selbstversorger-Skitourenurlaub mit ÖPNV zu unternehmen ist durchaus möglich, sogar in Deutschland. Der Gepäcktransport (der gerne als Hindernis dargestellt wird) ist das geringste Problem. Wenn man den Zeitfaktor und die derzeitige Maskenpflicht ausblendet, dann kommt man einigermaßen bequem zu den gut angebundenen Ausgangspunkten und muss auch nicht aufwändig vorausplanen. Wobei aber sehr viel Luft nach oben besteht: Langsame Züge, schlechte Verbindungen und klimaschädliche Dieselloks, Busse in Skigebiete, die nicht auf Skifahrer eingestellt sind etc. Das zeigt, dass es in Deutschland kein Verkehrsministerium gibt, das auch nur ansatzweise so etwas wie einen Plan verfolgt, bzw. vollkommen unfähig ist. Es gibt eigentlich kaum Länder in Europa die dieszbezüglich schlechter sind als Deutschland. Das größte Fiasko ist allerdings das Ticket-Chaos. Man kann hierzulande mit der Familie nicht einfach mit ÖPNV von A nach B fahren, sondern muss für jeden Umstieg aufwändig recherchieren, welche Tickets wann und wo gelten, wo man sie bekommt und welches Ticket auch seinen Preis wert ist oder wo man betrogen wird. Das ganze spontan unterwegs zu stemmen ist unmöglich - auch weil das angebotene WLAN (falls überhaupt) in den Zügen ein Witz ist und auf vielen Strecken kein Mobilfunk-Datennetz verfügbar ist. Das Highlight: In den Zügen der Bayerischen Regionalbahn/Transdev riskiert man sogar als krimineller Schwarzfahrer bestraft zu werden selbst wenn man schon ein Ticket gekauft hat, das aber der Schaffner nicht anerkennt. Falls man Glück hat und die Tickets die man sich ausgesucht hat tatsächlich gelten, dann ist es zumindest preislich deutlich günstiger als ein Auto (wenn man es realistisch rechnet - also Treibstoff + Fixkostenanteil oder ein Mietauto/Carsharing + Parkgebühren für vier Tage)