Bergsteigen in Zeiten der Klimakrise?
Wie klimaschädlich ist Bergsteigen, kann ich damit verbundene CO2-Emissionen vor meinen Kindern verantworten?
Frischer Wind in der Klimaschutzdiskussion
Als sich am 20.August 2018 ein 15jähriger Teenager mit selbstgebasteltem Schild vor das schwedische Parlament hockt und der Schule fern bleibt, bekommt die Diskussion um die Erhitzung der Erde eine neue Dimension. Wissenschaftlich ist seit langem klar, wohin die Reise geht. Mit der Freisetzung des über Jahrmillionen im Boden gespeicherten, fossilen Kohlenstoffs durch die moderne Gesellschaft verändert sich die Strahlungsbilanz der Erde, wodurch sich ihre Atmosphäre, die Erdoberfläche und die Ozeane aufheizen, der sogenannte anthropogene Treibhauseffekt. Dadurch werden sich die Lebensbedingungen in rasantem Tempo verändern. Wie sich der Temperaturanstieg tatsächlich auf die zukünftigen Lebensumstände hier in Deutschland auswirken wird, kann nicht sicher prognostiziert werden. Klar ist aber, dass sie das Potenzial zur Katastrophe haben (große Kriege, enorme Flüchtlingsströme, Nahrungs- und Wasserknappheit). Der entscheidende neue Aspekt ist jetzt die Stimme der Jugend, deren Zukunft auf dem Spiel steht und damit auch eine andere Perspektive für mich als Familienvater. Wie kann ich vor meinen Kindern meine Verhaltensweisen und Entscheidungen vertreten, die ihr Leben in 20 Jahren, 30 Jahren oder 50 Jahren womöglich zur Hölle machen oder ihnen zumindest gewaltige Kosten aufhalsen?
Beeinflußt Bergsteigen den Treibhauseffekt?
Und damit sind wir beim Bergsteigen: ein Sport, eine Lebensform, ein Hobby (wie auch immer...) dem ich einen großen Teil meiner Zeit widme. Diese eigentlich nutzlose Betätigung ist in ihrer Reinform - wie man heute sagen würde - „CO2-neutral“ ist. Das bedeutet, dass durch ihre Ausübung kein fossiles Treibhausgas freigesetzt wird. Es wird dabei zwar CO2 frei, das produzieren wir alle, ständig, alleine durch unsere Atmung. Aber es stammt aus dem natürlichen CO-Kreislauf, wo es ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist. Ganz anders sieht die Sache jedoch aus, wenn ich für meine Bergtour mit dem Auto anreise oder mit dem Flugzeug auf eine Expedition fliege und dafür Erdöl verbrenne. Dann füge ich der Atmosphäre zusätzliches Treibhausgas hinzu und drehe damit ein kleines bisschen am Thermostat der Erde. Das gleich gilt, wenn man die andere Seite des CO-Kreislaufs stört, in dem beispielsweise Wälder gerodet oder Flächen versiegelt werden, was aber durchs Bergsteigen kaum tangiert wird. Ja ganz im Gegenteil: Eigentlich sind Bergsteiger ja an ursprünglicher Natur interessiert und daher grundsätzlich für ihren Schutz.
Nachhaltige Anreise ist seit 30 Jahren ein Thema
Die Crux bei unserem Sport ist die Anreise, für die vom überwiegenden Teil der Bergsteiger mit dem Auto erfolgt. Die Erkenntnis ist nicht neu und auch keine fiese Verschwörung von Fridays for Future und "linksgrünversifften Verbotsfanatikern". Als ich vor 30 Jahren zur Jugendgruppe des Rosenheimer Alpenvereins komme, ist die „umweltfreundliche“ Anreise ist bei allen Berg-, Kletter- und Skitouren ein wichtiger Aspekt. Das wird auch in den bergsportlich ambitionierteren Zeiten danach, in der sogenannten Jungmannschaft, so gehandhabt. Bei Autofahrten beschränken wir uns auf eine Entfernung von etwa ein bis eineinhalb Stunden einfach Fahrzeit pro Tourentag, Fahrgemeinschaften sind selbstverständlich. Zum Sportkletterurlaub nach Sperlonga geht es mit dem Zug. Flugreisen sind die absolute Ausnahme und kommen nur alle paar Jahre für mehrwöchige Unternehmungen in Frage. Diese Richtschnur hab ich für mich weitgehend beibehalten, bei privaten Unternehmungen genauso, wie bei meinen angebotenen Touren und Kursen für den Alpenverein. In meinem Umfeld hat sich aber ein deutlicher Wandel vollzogen.
Konsum ist das Maß der Dinge - auch beim Bergsteigen
Ab Mitte der 90er Jahre sickert die weit verbreitete Konsummentalität immer stärker ins Bergsteigen. Das Erlebnis tritt in den Hintergrund, was zählt ist das schnelle Ergebnis. Gipfel müssen abgehakt werden, Pausetouren, die bekanntesten Sportkletterrouten Europas, möglichst viele Skitouren, auch wenn der nächste Schnee weit weg ist. Trotz immer knapperen Zeitbudgets muss der Output Jahr für Jahr gesteigert werden. Social Media kommt dazu. Die Grandes Jorasses gibt mehr Likes als der Schrammacher. Für zehn Seillängen 500 Kilometer zum Sellapass, für ein Wochenende nach Chamonix, für fünf Tage zum Klettern nach Kalymnos, für eine 8a nach Ceüse – was solls? Die Argumente: „Kinder haben wir keine und bis der Klimawandel greift sind wir tot.“ oder: „Den Klimawandel gibt’s nicht! "oder "Klimaveränderungen gab es schon immer, aber meine Abgase haben damit nichts zu tun.“ An bequemen Ausreden mangelts nicht, Fakten werden ignoriert, verdreht oder gefälscht. Wer es seinen Kindern nicht erklären kann oder will, lügt sie eben an.
Die Klimakrise nimmt stattdessen über die Jahre an Fahrt auf, die CO2-Emmissionen steigen weiter, die Auswirkungen werden immer deutlicher. Aus der öffentlichen Wahrnehmung wird das Thema mehr und mehr verdrängt. Meine Bergkameraden von meinen Vorstellungen klimaschonender schonender Anreise zu überzeugen wird zunehmend schwieriger. Manchmal gehe ich Kompromisse ein und lasse mich überreden, z. B. für zwei Tage nach Arco mitzufahren. Meine Arbeit als Buchautor bringt mich ebenfalls ab und zu in Zugzwang, so dass ich kurz vor Redaktionsschluss schon mal für Recherchetouren alleine im Auto sitze oder wir für eine einzige Skitour zu zweit bis zum Dachstein gurken. Gut finde ich das nicht. So entscheide ich mich immer häufiger gegen die Teilnahme an bestimmte Unternehmungen, weil die Anreise für mich nicht vertretbar ist. Verständnis ernte ich dafür nur selten, einige Bergkameradschaften leben sich auch dadurch auseinander.
Wertschätzung führt zu reflektiertem Handeln
Nun kann man einwenden, dem Klima sei es egal, ob ich für zehn oder nur zwei Tage mit dem Auto nach Chamonix fahre, der Schadstoffausstoß bleibt der gleiche. Sofern ich die restlichen acht Tage keine weiteren Fahrten unternehme, ist das richtig. Allerdings ist die Wertigkeit eine andere. Niemand ist emissionsfrei, nicht mal die puristische Klima-Greta. Letztendlich sind meine Schadstoffe nichts anderes als Kosten. Kosten, die ich dem Ökosystem, bzw. unserer Volkswirtschaft aufbürde, oder meinen Kindern, die vielleicht irgendwann eine teure Technik haben und benötigen, um das Klimagas wieder aus der Atmosphäre zu filtern. Wenn ich meinen Töchtern erklären muss, wofür ich ihnen die Kosten hinterlasse, kann ich das leichter vertreten, wenn es mein Jahresurlaub war, ein Highlight auf das ich monatelang trainiert habe, anstatt für einen schnellen Wochenendtrip und irgendeine 08/15 Unternehmung, die mir eigentlich nichts bedeutet.
Solange der Ausstoß von CO2 weitgehend „kostenlos“ und unreguliert möglich ist, muss letztendlich jeder für sich entscheiden, wie viel ihm die Schädigung unseres Klimas durch sein Tun wert ist. Als Rosenheimer in fahrradtauglicher Distanz zu den ersten Bergen stehen mir dafür natürlich mehr klimaschonende Optionen offen, als einem Hamburger, der in 200 Kilometern Entfernung zum nächsten klettertauglichen Felsgebilde wohnt und 800 Kilometer zurücklegen muss, bis er überhaupt am Alpenrand steht.. Aber wenn man es schafft, das Konsumdenken hinter sich zu lassen und den Fokus auf eine großzügigere, nachhaltige Zeitplanung und möglichst CO2 sparende Anreise zu legen, dann kann man das Bergsteigen viel klimaschonender betreiben, als es in Summe derzeit der Fall ist.
Die Eigenverantwortung kann aber meiner Meinung nach nur ein Aspekt zur Lösung des Problems sein. Solange ein Flug nach Thailand billig ist, wird es immer genügend Leute geben, die ihn buchen - weil das Klettern dort Spaß macht, weil ihnen die Zukunft egal ist, weil sie nicht genug über die schädlichen Auswirkungen des Fluges wissen, weil ein Kletterurlaub in Thailand Statusgewinn bedeutet, etc... Gefordert ist die Politik, verbindliche Rahmenbedingungen für alle zu schaffen, die gemeinschaftsschädigendes und planetenzerstörendes Verhalten sanktionieren, sei es durch Verbote oder wirtschaftliche Anreize. Ich halte es für extrem wichtig, das Problem schnell in den Grifff zu bekommen. Ansonsten haben wir - und erst recht unsere Kinder - in 20, 30 oder 50 Jahren andere Sorgen, als Berge zu besteigen, Felswände hinaufzuklettern oder im glitzernden Pulverschnee abzufahren.