Produkttest Kletterschuh: Scarpa Vapor V_19
Für das Outdoor- und Bergsport-Online-Magazin Airfreshing hab ich den Scarpa Vapor V(elcro) einem ausführlichen Test unterzogen. Der Test bezieht sich auf das Modell 2019 – allerdings hab ich auch bereits mit einem älteren Modell Erfahrungen gesammelt. Diese werde ich bezüglich Haltbarkeit und langfristiger Formstabilität mit einbeziehen. Hinweis: Der Kletterschuh wurde mir von Airfreshing für den Test kostenlos zur Verfügung gestellt. Für den Bericht erhalte ich keine finanzielle Vergütung und weder Airfreshing noch der Hersteller inhaltlichen Einfluss auf den Test.
Der Schuhhersteller Scarpa mit seinem namhaften Produktentwickler Heinz Mariacher ist seit vielen Jahren für ein breites Sortiment an Kletterschuhen bekannt. Von Einsteiger-Kletterschuhen wie den Modellen „Helix“ oder „Origin“ über bequeme, aber leistungsfähige Patschen fürs Alpinklettern oder gemäßigte Sportklettern (Force V, Maestro), vielfältig verwendbare Allrounder (Vapor) bis hin zu Spezialisten für extreme fußtechnische Anforderungen beim Bouldern oder in schwierigen Sportkletterrouten (z. B. Arpia, Furia, Instinct) ist für jeden Einsatzzweck etwas geboten.
Erster Kontakt
Es ist Mitte April. Die heimischen Felsen sind heuer noch dick verschneit als ein Paket von Scarpa bei mir eintrifft. Der neue Vapor V_19 leuchtet mir beim Öffnen des Kartons in frischem Zitronengelb entgegen. Neben der Farbe hat sich noch eine kleine Neuerung gegenüber dem vorherigen Modell ergeben: Die Ferse wurde etwas gestrafft. Das bedeutet, dass man sie jetzt auch ausfüllt, ohne den Schuh so eng zu wählen, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Zudem soll er eine etwas weichere Zwischensohle bekommen haben, was sich aber beim Erstkontakt noch nicht verifizieren läßt.
Meine normale Schuhgröße ist 45, ich hab den Vapor V in Größe 44 bestellt. Zuhause bei Raumtemperatur sitzt das fabrikneue Modell auf Anhieb gut, wenn auch noch sehr eng. Ich ziehe ihn mehrmals für wenige Minuten an und ohne ihn belastet zu haben wieder aus. Nach 3-4 Zyklen ist er bereits bequemer geworden und ich mache ein paar Antretübungen auf Kunsttritten. Trotz der angeblich etwas weicheren Zwischensohle, fühlt er sich noch sehr steif an. Aber klar, mit dem alten abgekletterten Vapor mit wenigen Nanometern Gummi drunter sollte man jetzt auch noch keinen Vergleich ziehen.
Passform
Es handelt sich um einen asymetrischen Kletterschuh mit mittlerem Downturn. Etwa eine Nummer kleiner als die normale Schuhgröße gewählt, sitzt er eng aber nach einiger Gewöhnungszeit bequem. Einschränkungen gibt es bei sehr hohen Temperaturen, wenn der Fuß anschwillt, da der Schuh dann keinen Millimeter nachgibt (wie weichere Modelle). Das gleich gilt bei Mehrseillängen: Wenn man am Stand steht und mit dem ganzen Fuß auftritt, wird der durch den Downturn gewölbte Fuß flach gedrückt, wodurch die Spannung auf die Zehen ansteigt. Es empfiehlt sich also am Stand die Schuhe auszuziehen.
Ticker der ersten Testeinsätze am Fels
Im Osterurlaub zieht es uns ins Trentino – zwar nicht direkt nach Arco, aber immerhin in den Dunstkreis dieses beliebten Modezieles. Entspanntes Sportklettern mit der Familie und Freunden ist angesagt – für mich gilt es in erster Linie, mich nach einer langen Wintersaison wieder an den Fels zu gewöhnen. Nach einigen Tagen wechseln wir in die Nordalpen wo die Felsstruktur deutlich andere Anforderungen stellt.
- Tag 1 +2: Sektor Orme die Dinosauri
In den technisch kleintrittigen Routen (Leisten, Dellen, Löcher) fehlt mir noch das Gespür für dem neuen Schuh mit der noch sehr dicken, nicht eingekletterten Sohle. Zudem schmerzen mir nach zwei Tagen meine Zehen, obwohl sich die Schuhe am Anfang des Tages sehr bequem anfühlen. - Tag 3 (nach Pausentag): Sektor Crosano
Es handelt sich um fußtechnisch anspruchsvolle Kletterei auf Leisten und Löchern. Das Gefühl in den Schuhen ist bereits merklich besser. Die Reibung der Sohle ist tadellos, auch auf den abgespeckten Tritten hält sie überraschend gut. Die Passform ist vormittags ebenfalls gut, mit steigender Temperatur am Nachmittag werden die Schuhe wieder eng und beginnen zu drücken. - Tag 4: Sektor Celva bei Trento
Wiederum sehr fußtechnische Kletterei auf teils abgespeckten Platten, die Tritte sind überwiegend Leisten und reine Reibungstritte. Von Anfang an spüre ich heute meine Zehen vom Vortag. Sicher auch ein Grund, wieso ich mich auf den Reibungstritten nicht so wohl fühle, aber auch der Downturn des Schuhs fällt dabei eher negativ auf. Ich klettere anschließend mit dem Mythos von La Sportiva weiter und komme hier deutlich besser damit klar. - Tag 5: Nach Pausentag Wechsel nach Nassereith
Etwas steilere Routen mit guten Leisten, fußtechnisch eher wenig anspruchsvoll. Wir klettern die ganze Zeit im Schatten, es ist kühl, die Passform des Schuhs ist heute kein Problem mehr. Inzwischen erhalte ich von den Tritten genügend Feedback durch die eingekletterte Sohle hindurch. Kleine Leisten lassen sich präzise belasten und im steilen Gelände „greifen“. - Tag 6: Klettergarten Ötz
Granitkletterei mit Reibung und Leisten in allen Größen. Ich wechsle mehrmals zwischen dem Scarpa Vapor und dem La Sportiva Mythos. Auf den Reibungstritten hat der Mythos leichte Vorteile. Dafür spielt der Vapor mit seiner höheren Kantenstabilität und Präzision seine Qualitäten auf den zahlreichen Microleisten voll aus. Selbiges gilt für Heelhooks, die aber bekanntermaßen keine Stärke des Mythos sind. Für den Rest des Tages bleibe ich beim Vapor.
So geht’s weiter
In den Folgewochen bekommt der Vapor weitere Einsätze am Fels, meist in Klettergärten. Ein Kunstwandbesuch ist ebenfalls dabei. Hier klettere ich eher leichte Routen im Onsightniveau, die fußtechnisch keine großen Anforderungen stellen. Positiv fällt auf, dass mich der Vapor im steilen Gelände gut in die Tritte hineinzieht und dass sowohl Heelhooks als auch Toehooks in meinem Level ordentlich halten. Eine plattige Drei-Seillängen-Route darf er ebenfalls mitklettern, wobei ich am Stand aus dem Schuh schlüpfe.
Langzeiterfahrungen
Mit dem Testschuh klettere ich also jetzt etwa einen Monat, von daher kann ich exakt darüber keine Langzeiterfahrung schildern. Ich besaß vor dem Modell 2019 bereits zwei ältere Modelle des Vapor, die sich nur in Details vom neuen Modell unterscheiden. Die Haltbarkeit der Sohle lag im mittleren Bereich, sie nützte sich zwar nicht extrem schnell ab, aber doch merklich schneller als bei den härteren Alpinmodellen. Die Verarbeitung der bisherigen Vapormodelle war tadellos und auch nach der zweiten Sohle waren noch keine Defekte am Schuh erkennbar. Ist der Schuh erst einmal eingeklettert, latscht er sich kaum noch weiter aus. Man sollte ihn also nicht zu eng kaufen und darauf hoffen, dass er sich kontinuierlich weitet.
Fazit
Es dauerte ungefähr vier bis fünf Klettertage bis ich den Vapor Velcro soweit eingeklettert hatte, dass ich das volle Feeling auf den Tritten spürte und die Passform annähernd als bequem zu bezeichnen war. Ab diesem Zeitpunkt machten kleintrittige Sportkletterrouten mit Löchern, Leisten und Dellen damit viel Spaß. Für sehr reibunglastige Klettereien gibt’s meiner Meinung nach Besseres.
Als Allrounder handelt es sich natürlich um einen Kompromiss. Was die Alpintauglichkeit angeht muss man Einschränkungen in der Bequemlichkeit hinnehmen, besonders am Standplatz wenn man auf dem gesamten Fuß steht. Dafür läßt er sich am Stand schnell aus- und wieder anziehen. Für sehr steile Projekte könnte ich mir vorstellen, dass der Vapor in Sachen Präzision und Feeling ebenfalls an Grenzen stößt.
Fußtechnische Kletterei im Klettergarten Schneizlreuth
Vorteile und Nachteile auf einen Blick
+ Allround-Kletterschuh, mit dem sich jede Art von Kletterei bewältigen läßt
+ ideal bei kleintrittigen, mittelsteilen Kletterrouten von senkrecht bis leicht überhängend
+ behält seine Form nach 5-10 Einklettertagen dauerhaft bei
+ relativ bequeme, asymetrische Form mit leichtem Downturn
+ gute Reibungswerte der Sohle
+ durch Klettverschluß schnelles Aus- und Anziehen
- bei reiner Reibungskletterei eher unbequem und durch den Downturn kein pefekter Formschluss
- eher unbequem bei Mehr-Seillängen-Routen am Standplatz, ich muss ihn dort jedes Mal ausziehen