Kletter- und Familienurlaub Korsika - Teil 3
Über den Col de la Tana nach Zonza
Eine Woche am Meer - diese Dosis ist eindeutig zu viel für meine Bergsteigerseele. Von daher bin ich heilfroh, als wir Ajaccio endlich verlassen. Bevor wir endlich ins gebirge Zentrum vorstoßen können müssen wir aber leider nochmal durch Ajaccio und in seinem grausligen Gewerbegürtel mit den perversen Riesensupermärkten französischer Prägung. Bei einer unserer Thermarest-Isomatten hat sich die Verklebung von Schaumstoff und Hülle gelöst und die Matte mutiert langsam zur Kugelform. In einem Sportgeschäft kauf ich mir daher eine normale dünne Schaumstoffisomatte. Zwar nicht so komfortabel, dafür aber billig und es kann nix kaputtgehen. Auf der kurvigen Fahrt hinauf zum Col de la Tana gibt es dann noch einen kurzen Zwischenfall. Fiona hatte schon eine Zeit über Unwohlsein geklagt, irgendwann sprach dann ihr spärliches Frühstück "Würg, hier bin ich wieder" und wir brauchten einen kurzen Reinigungsstop.
Am Col de la Tana auf 1000 Meter Meereshöhe ist die Luft deutlich angenehmer als am Meer. Selbst in der Sonne könnte man sich vorstellen, zu klettern. Und darauf macht das Klettergebiet direkt am Pass, zwei Minuten oberhalb der Straße, richtig Lust. Leuchtend roter, löcherübersäter Granit lacht uns an. Wir schnappen uns die Klettersachen und schon sind wir am Fels. Fiona möchte unbedingt eine 4er Tour für die Kinder einhängen. Der erste Haken ist in 8 Meter Höhe 2 Meter über dem Vorbau. Ich rate ihr ab aber sie möchte unbedingt, also steig ich schnell rauf und klippe ihr den ersten Haken vor. Der zweite Bolt ist nochmal 4 Meter höher, allzu schwierig sieht es bis dahin aber nicht aus. Von der günstigen Klippposition fehlen ihr aber 5 cm zu dem Haken und sie traut sich dann doch nicht ihn anzuklettern. Ein mulmiges Gefühl hab ich schon als sie 3 m über dem Haken anfängt zurückzuklettern. Sie meistert das aber souverän und ich beschließe, sie in nächster Zeit etwas stärker zum Nachsteigen zu motivieren. Ich bin ohnehin nicht der Meinung, dass es 8jährigen Kindern viel bringt, Touren vorzusteigen. Für das Aneignen der Kletterbewegungen sind Topropes genauso gut. In jedem Fall hänge ich die Tour dann schnell ein und muss gestehen, dass das runde, griffarme Gestein durchaus anspruchsvoll zu Klettern ist.
Gerade als Madita als erste Nachsteigerin wieder unten ist, beginnt es zu tröpfeln. Amira will aber unbedingt auch noch klettern und bindet sich gleich ein. Innerhalb kürzester Zeit verstärkt sich das Getröpfel zu einem ausgewachsenen Platzregen, so dass ich sie unter lautstarkem Protest wieder ausbinde. Innerhalb weniger Minuten sind wir bis auf die Unterhose nass. Schnell berge ich noch die verbliebenen Expressschlingen, zieh das nasse Seil ab und wir flüchten zu den Autos. Es sieht nicht nach einer dauerhaften Wetterbesserung aus, also beenden wir den Klettertag und machen uns auf den Weiterweg nach Zonza. Unterwegs schifft es wie aus Kübeln, aber als wir am Campingplatz La Riviere ankommen ist es bereits wieder trocken. Und jetzt muss ich noch schnell ein Lob auf den Campingplatz loswerden. Von allen Zeltplätzen, die wir bisher auf Korsika kennengelernt haben haben wir uns dort am wohlsten gefühlt. Er liegt wunderschön in einem Wald aus korsischen Schwarzkiefern, zwei Minuten von einem traumhaften Bach mit den perfekten Badegumpen. Die Besitzer sind supernett und pflegen den Platz mit ausgesprochener Liebe zum Detail. Zudem ist das Preis-Leistungsverhältnis deutlich besser als am landschaftlich genauso schönen Campingplatz im Restonicatal.
Mein Urlaubsprojekt ist es, mindestens eine Mehr-Seillängen-Route zu klettern. Bei unseren Familienurlauben ist das immer eher schwierig zu organisieren, vor allem braucht man einen Kletterpartner. Der Stefan ist im Herzen eigentlich Sportkletterer, weshalb er für eine überhängende 15-Meter-8a leichter zu motivieren ist als für 10 Seillängen im Sechser bis Siebener Gelände. Aber heute hat er Lust eine längere Tour anzugehen. Doppelseile hab ich auch dabei - bingo! Um halb 8 kurven wir von Zonza über den Passo di Bavella auf die Ostseite. Hier wachsen eindrucksvolle Granitwände in den Himmel, die Szenerie erinnert ein wenig ans Val di Mello. Wir haben ein Auge auf die Punta a Biciartula geworfen. Eine knapp 200 m hohe Wand, die nur eine halbe Stunde Zustieg aufweist und moderne, mit Bohrhaken abgesicherte Routen mit etwas höheren, homogenen Schwierigkeiten aufweist. Unser Ziel: Le celebration du Lezard (8-).
Am Parkplatz angekommen suchen wir den Zustiegsweg. Ein unscheinbarer Pfad führt ins Gebüsch, flankiert von den kleinen Häufchen mit Taschentüchern, wie an jeder Parkbucht hier. Aber tatsächlich - da ist ein Steinmann. Kaum sind wir aus dem Toilettenbereich raus, wird der Weg immer deutlicher und ist mit Steinmännern perfekt markiert. Zügig geht es durch den wilden Urwald hinauf bis unter die Felsen. Die ersten Bohrhaken die wir sehen werden mit dem Wandbild abgeglichen. "30 Meter weiter links müsste unser Einstieg sein" stelle ich fest. Ohne Mühe finden wir die richtige Route und Stefan startet in die erste Seillänge.
Die Tour startet recht gemütlich - ein plattiger 6er. Auch die zweite Länge, in der ich dran bin, ist kaum schwerer. Dann geht es langsam zur Sache. Ein spektakulärer Quergang führ zu einer heiklen Plattenstelle. Die folgende plattige Rißverschneidung spreizt der Stefan, ich klemme den Riss rauf. Im Nachstieg kommt mit die Passage recht obligat vor, allerdings hat der Stefan den schönen Riß verschmäht, in den sicher Cams im Bereich #2-3 gepasst hätten. Meine folgende Länge ist bis auf plattigen Start und den ersten Riss recht leicht und purer Tafonigenuß. Danach darf Stefan in seiner Länge wieder ein paar kurz, aber knackige Plattenstellen knacken. Die Schlüsselseillänge erfordert dann für mich grenzwertige Reibungskletterei. Ich bin froh um die engen Bohrhakenabstände. Am letzten Überhang mach ich eine weite, nicht gesichere Linksschleife. Am Stand erkenne ich dass es rechts rum wohl besser gewesen wäre. Nach einer leichten Ausstiegslänge stehen wir am Gipfel. "Wow - was für Felsen" staune ich. Hinter unserem Berg ragt der nächste in die Höhe. Weitere 250 Meter, mit einer tafonigespickten Granitwand, die Punta Rocca Rossa. Hier gäbs noch sehr viel zu tun. Eigentlich sollte man mal zum Alpinklettern herkommen. Wenn halt die Anreise nicht wäre...
"Ich fädle schon mal das Seil zum Abseilen" sagt Stefan. "Nein, hier können wir nicht abseilen," wende ich ein, "die ganzen Quergänge". Ein kurzer Blick in die Beschreibung und es ist klar wo es runter geht. Vom Abseilstand an der Westkante seile ich freihängend auf eine Buschrampe. Ein kurzes Stück absteigen und der nächste Abseilstand führt uns in die Zustiegsrinne. Über diese klettern wir hinab zum Einstieg - nach gerade mal einer halben Stunde sind wir wieder am Rucksackdepot. An einem schattigen Eck verpacken wir unsere Ausrüstung. "Ach du Scheiße" schimpfe ich. Unter einem Stein quillt eine stinkende braune Masse hervor. Darin macht es sich gerade der Tragegurt meines Rucksacks bequem. Mit Tempos und den letzten Trinkwasserreserven wird die Notdurft notdürftig beseitigt. Der beißende Gestank begleitet mich dann den restlichen Abstieg bis zum Auto.
Am nächsten Tag ist wieder Familienklettern angesagt. Oben am Col de Bavella gibt es eine große Auswahl an Sportkletterrouten in fast allen Schwierigkeitsgraden. Ich bin für die Kinderrouten zuständig und sichere fleißig, bis der Nachwuchs klettersatt ist und zum Waldhausbau übergeht. Stefan sorgt sich derweil um unsere holde Weiblichkeit, die weiterhin das Nachsteigen dem eigenen Routeneinhängen vorzieht. Immer wieder quellen bedrohliche Wolken von Süden auf, es bleibt aber zum Glück trocken. Unser Ziel für den Tag haben wir damit erreicht: Die Frauen sind so lange geklettert bis sie platt sind und brauchen einen Ruhetag. Das heißt, am nächsten Tag gehen sie mit den Kindern wandern und wir haben frei.
Nachdem ein weiterer Gebietswechsel hinüber ins Tal der Solenzara ansteht, besuchen wir einen Kletterfelsen am Weg. Das Gebiet "3G" (weil man dort 3G-Netz-Empfang hat) ist nach Monte das zweite sportklettermäßige Highlight des Urlaubs. Die leichteren (für mich onsight kletterbaren) Routen im Bereich 6b bis 7a gefallen mir sogar noch besser als die Routen von Monte im selben Level, da sie noch vielfältiger sind. Man klettert hier in den Verschneidungen und Dächern an steilen Tafonistrukturen und in den Platten an kleinen, scharfen Leisten. Das Gebiet liegt den ganzen Tag im Schatten (zumindest Anfang September), der Zustieg ist allerdings steil und ziemlich schweißtreibend. Zum Abend hin ist unser Kletterhunger gestillt und wir treffen uns am Camping U Ponte Grossu mit unseren Familien. Diese hatten am Bavellapass eine Wanderung zum Trou de la Bombe unternommen - einem bekannten, riesigen Felsenfenster im Berg.
"Ich möchte unbedingt in den Hochseilgarten" mein Fiona. 35 Euro für uns beide ist schon eine Ansage für einen Vormittag - aber es ist ihr großer Urlaubswunsch und daher kann ich ihr die Bitte nicht abschlagen. Stefan und Jojo sind auch mit dabei. Der Park GAventura liegt direkt neben dem Campingplatz. Punkt 9 Uhr sind wir dort, weit und breit ist niemand zu sehen. Öffnungszeiten stehen auch nirgends. Wir finden schließlich heraus, dass ab 10 Uhr geöffnet ist. Ein sehr korsischer Typ kassiert, gibt uns das Leihmaterial und weist uns kurz in die Bedienung ein. An der Tafel steht "Ab 1,40 m Körpergröße!". "Ist das ein Problem wenn die Kinder erst 1,30 m sind?" frage ich? "No, no" sagt er und zeigt uns ein paar Tricks, wie wir den Kindern an problematischen Stationen helfen können. Das Sicherungssystem ist simpel und idiotensicher. Die meisten Stationen sind für sportliche Erwachsene einfach und auch für Kinder gut zu meistern. Die beiden Kinder sind begeistert, die Väter immerhin positiv überrascht. Nur meine Seilrolle ist Mist und läuft nicht sauber, so dass ich bei dem 210 m langen Flying-Fox fast 30 m bis zum Ende hangeln muss. Nachdem wir den langen Parcour zum zweiten Mal durch haben, merken wir langsam die Anstrengung. Auch die Hitze macht sich bemerkbar. Darum geben wir kurz nach mittag die Ausrüstung wieder ab. Der wirkliche Muskelkater kommt dann erst am nächsten Tag - irgendwie brauchts anscheinend andere Muskeln als beim Klettern.
Direkt neben dem Campingplatz befindet sich der nette Kletterfelsen U Ponte Grossu, an dem spät nachmittags die Damen noch ihre tägliche Sporteinheit bekommen. Um der Hitze zu entgehen statten Stefan und ich dem Felsen am nächsten Tag einen Morgenbesuch ab. Auch Tom und Julia kommen - etwas später - dazu, während Susi und Sabine die Kinderbespaßung der gesamten Schar übernehmen. Nachmittags wandern wir das Bachbett des Fiumicelli hinauf - eine beliebte Flußwanderung durch Gumpen und Klammen, wo einige Passagen zwingend durchschwommen werden müssen. Die meisten Leute sind mit (Wasser-)Schuhen und wasserdichten Packsäcken unterwegs, wir stellen aber fest, dass es barfuß eigentlich viel angenehmer ist. Handtücher und Schuhe haben wir in einem Müllsack gepackt im normalen Rucksack dabei. Es bleibt alles trocken.
Am Abend sitzen wir gemütlich vor dem Zelt beisammen und beratschlagen über die nächsten Tage. Wir wollen noch ins Restonicatal und unterwegs ein weiteres Klettergebiet besuchen "Das Gebiet A Tyroliana sieht interessant aus" meint Stefan "dorthin fährt man aber mindestens eine Stunde" gebe ich zu bedenken - und zwar in die falsche Richtung. Zwei zusätzliche Fahrstunden ist uns der Felsen dann doch nicht wert, also beschließen wir uns das Gebiet Chisa anzusehen. Während wir im Schein der Kerzenlampe sitzen schleicht ein katzenähnliche Tier um unsere Zelte. Ich schalte meine Stirnlampe ein und richte sie darauf. "Ein Fuchs" rufen erstaunt gleich mehrere Kehlen. Er steht zwei Meter neben mir und blickt genauso verwirrt wie wir, bevor er wegläuft. Und so neigt sich unsere Zeit an der Solenzara langsam dem Ende zu, bevor wir am nächsten Tag wieder weiterziehen nach Chisa und dann ins Restonicatal.