Kletter- und Familienurlaub Korsika - Teil 1
Aus der Pole-Position nach Korsika
"Wann fahren wir mal wieder nach Korsika?" diese Frage unserer Kinder begleitet uns jetzt seit vier Jahren. Unser letzter Familienurlaub auf der französischen Mittelmeerinsel hat die Kleinen so nachhaltig beeindruckt, dass sie im ehemaligen Ölheizungskeller der Großeltern ein eigenes "Korsika-Museum" eingerichtet haben, mit Bilder, Muscheln und selbstgebastelter Fähre. Nach längerer Planung sowie Sparen von Geld und Urlaub packen wir es also heuer in den Sommerferien endlich an: knapp drei Wochen Zeit sollten es schon sein, damit sich der weite Weg lohnt. Susi und Stefan mit Jojo und Jakob sind auch mit von der Partie. In Korsika wollen wir zudem Julia und Tom mit ihren Kindern treffen.
Lange Autofahrten sind so gar nicht unser Ding, daher teilen wir die Reise auf zwei Tage auf. Am Sonntag nachmittag gehts los: Mit vollgepacktem Auto fahren wir über den Brenner. Unser erste Station ist Mori bei Rovereto, wo wir am altbekannten Agricampeggio bei Paolo unser Zelt aufschlagen. Zufällig treffen wir Sonja, Hans und Franzi, mit denen wir bereits Ostern einige Tage hier zum Klettern verbracht hatten. Bei Pizza, Eis und Spritz genehmigen wir uns eine kräftige Dosis Italien, weil wir wissen, dass es das in Frankreich nicht geben wird, zumindest nicht in der Qualität und zu dem Preis.
Der Ablegetermin unserer Fähre ist Montag 14 Uhr in Livorno. Nochmal fast vier Stunden Autofahrt müssen wir am nächsten Tag dafür absolvieren. Wie von der Fährgesellschaft empfohlen, sind wir eineinhalb Stunden frührer dran. Unsere beiden Autos werden auf zwei Reihen aufgeteilt. Der Einweiser dirigiert mich weit nach rechts, in eine kurze Reihe hinter dicken Wohnmobilen. Nur die Fahrer bleiben in den Autos, alle anderen dürfen sofort zu Fuß auf die Fähre. Und dann beginnt dieses faszinierende 3D-Puzzle: Wie stapelt man möglichst viele kleine Blechkisten in eine riesengroßen Blechkiste?
Zwar knallt die Sonne vom Himmel, aber es weht ein kühler Wind vom Meer. Trotzdem scheint sie einigen Fahrern das Hirn verbrannt zu haben. Viele lassen während der fast zweistündigen Boardingaktion die Motoren durchlaufen, ganz nach dem Motto: "Mir doch scheißegal was mein Dreckkarren in die Luft bläst". Irgendwie stehe ich etwas verloren hinter den ganzen Wohnmobilen. Erst als dieser Sichtschutz Richtung Schiff rollt, entdeckt mich der Einweiser. Er winkt mich an's Ende der einzigen verbliebenen Reihe mit PKW's. Immer wieder zählt er besorgniserregend skeptisch die noch zu ladenden Fahrzeuge. "Hoffentlich haben sie sich nicht verschätzt" denke ich. Die letzten Wohnwägen müssen rückwärts in die Fähre rangieren, was 'ne Ewigkeit dauert. Ich stehe immer noch draußen, hinter vier weiteren PKWs. Irgendwann, nach den letzten großen Gefährten, sind wir noch zu dritt. Endlich bin ich dran. Als Allerletzter fahre ich rückwärts auf die Fähre. Links von mir ist noch ein größerer Platz frei. Wie aus dem Nichts taucht draußen noch ein Bagger auf, der mühsam die Rampe heraufkriecht. Dann schließt die Klappe. Zwei Meter vor meiner Stoßstange, das nennt man wohl Pole-Position.
"Na endlich!" Ungeduldig werde ich von meiner Familie auf Deck begrüßt. Sie haben bereits die erste Brotzeit hinter sich. Mit fast eineinhalb Stunden Verspätung legen wir ab. Die Überfahrt ist gewohnt unspektakulär. Wir vertreiben uns die Zeit mit Schafkopfen und Futtern. Kurz vor Ende der Fahrt dann große Aufregung auf Deck: Ein großer Schwarm Delpine folgt uns. Fünf Minunten lang hüpfen die Meeressäuger vergnügt in den Heckwellen der Fähre. Bereits bei der Einfahrt in den Hafen von Bastia begeben wir uns an die Treppe zum Laderaum. Die günstige Ausgangsposition wollen wir nicht mehr verschenken. Erst als das Schiff angelegt hat, dürfen wir hinab zu den Autos. Gerade als wir ins Auto steigen geht die Ladeluke auf, uns bleibt kaum Zeit uns anzuschnallen, dann düsen wir rechts am Bagger vorbei - als erstes Fahrzeug hinaus nach Korsika. Ohne Stau geht es problemlos durch Bastia hindurch und über die schmale Bergstraße in einer guten halben Stunde nach San Fiurenzu (Saint Florent).
"Kein Platz mehr frei" antwortet der Chef am Camping U Pezzo vor der geschlossenen Rezeption kurz nach 8 Uhr abends. Ich jammere ihm von der verspäteten Fähre vor und betone, dass wir ja nur ein kleines platzsparendes Zelt haben. "Dann schaut mal durch ob ihr was findet, wenn ja, meldet euch am Morgen an". Zwischen den Mobile Homes gibt es noch einen geräumigen freien Fleck, wo wir locker unsere beiden Familienzelte unterbringen, direkt neben dem Waschhaus. "Passt doch" stelle ich zufrieden fest - unser Basislager für die ersten drei Tage ist gefunden.
Der erste Granit zum warm(!)klettern, dann ans Meer
Die Umgebung von San Fiurenzu bietet eine Hand voll kleinerer Klettergebiete. Von Bastia kommend fährt man auf einen Bergkamm aus Kalk zu, der beim Näherkommen skurrile Felsformationen mit gewaltig überhängenden Wänden zeigt. Wir schauen uns eine der Wände an. Absolut abgefahrene Strukturen mit 10 - 15 Meter ausladenden Dächern. Einige (teils recht rostige) Haken finden wir, aber keine Beschreibungen. Angeblich gibt es mehrere Klettermöglichkeiten, die aber aus Rücksicht auf Grundeigentümer nicht veröffentlicht werden. Das Potenzial ist gewaltig. Wir sehen unzählige solcher 20-75 Grad überhängender Wände, oft mehr als 20 Meter hoch, teils nur zwei Minuten neben der Straße. Wäre das nur zur Hälfte erschlossen, hätte Korsika eines der besten High-End-Gebiete Europas! Für mich ist das Meiste hier zwar zu schwierig, aber für den Stefan ist es echt schade, dass wir nicht fündig werden.
Allerdings starten wir ohnehin mit einem Familientag. Dafür brauchen wir einen Felsen mit leichten Touren im Schwierigkeitsbereich 4-6. Es ist aber ziemlich heiß, klettern kann man nur im Schatten. Das schränkt die Auswahl etwas ein. Fündig werden wir ein Stück oberhalb, an der Paßstraße nach Bastia. Der kleine Fels "U Tipponu" liegt direkt an der Straße, mit Schatten bis über Mittag, perfekter ebener Wiese am Wandfuß und sogar einem echten Tomatenstrauch! Vermutlich hat hier jemand an der Straßenkehre Tomaten entsorgt und daraus ist ein Staude gewachsen. Alle sind motiviert zu klettern, auch alle vier Kinder. Fiona hängt den Kleineren den einzigen 3er ganz am Rand ein, Stefan und ich installieren Topropes für unsere Frauen in den 5ern. Zum Abschluss wir beide auch noch zwei schwerere Routen klettern. Die zentrale 6b ist ne coole Linie, ich find sie aber ziemlich schweißtreibend. Mit dem Granit muss ich wohl erst wieder warm werden. Endgültig zu heiß wird's uns dann, als die Sonne um's Eck kommt und wir flüchten hinab an's Meer. Der Strand von San Fiurenzu ist nicht so mein Fall. Es herrscht viel Betrieb mit allem möglichen Halligalli - Kajaks, Jetski, Boote an Flugdrachen, Tandemgleitschirme und natürlich viele Badegäste. Dafür ist das Wasser aber eher dreckig und sogar mir zu pisswarm. Die Kinder hingegen stört der Schlick am Strand weniger, und nach ihrer Buddelaktion sehen sie aus wie nach einem Moorbad.
A Serra: Tafoniklettern in der Macchia
Hoch über der Bucht von San Fiurenzu findet sich an den Macchia-Hängen das kleine Klettergebiet "A Serra". Es wurde als Ausbildungsfelsen eingerichtet und gibt daher einen weiteren guten Familienfelsen ab. Im Gegensatz zum Vortag ist der Zustieg zwar deutlich länger (ca. 15 Min. mit den Kindern) und der Wandfuß ist lange nicht so perfekt (jeweils wenige Quadratmeter macchiafreies Blockgelände unter den Routen auf der West- und Nordostseite). Dafür finden wir hier das erste Mal den korsikatypischen Tafonifels. Skurril verwitterter Granit mit vielen Löchern aller Größen, der sich superhenkelig klettern läßt. Nachdem wieder alle Kinder voll motiviert zum Klettern sind, läuft es ab wie am Vortag: Die Väter sind als Sicherungspersonal und Vorsteiger für die Bespaßung von Müttern und Kindern zuständig. Als es zu heiß wird geht es erneut ans Meer.
Monte - das beste Sportklettergebiet Korsikas?
Nach den beiden Servicetagen haben Stefan und ich genug Pluspunkte gesammelt. Heute ist Männertag! Während die Frauen und Kinder den Vormittag damit verbringen die Zelte abzubauen und nochmal ans Meer zu gehen, starten wir früh und wollen dem sagenumwobenen "Monte" einen Besuch abstatten. Gerüchten zu Folge handelt es sich um das beste Sportklettergebiet Korsikas. Wir wollen uns am späten Nachmittag in Corte wieder mit den Familien treffen. Unsere Fahrt führt uns erst über einen Pass hinaus an die Ostküste südlich von Bastia und dann auf einer kleinen Bergstraße hinauf zu dem abgelgenen Dörfchen Monte. Wer denkt die Fahrt wäre hier zu Ende sieht sich getäuscht. "Soll es hier weitergehen?" frage ich ungläubig. Wir stehen auf einem Hinterhof, umgeben von Schrottautos in einer Art ausgewaschenem Bachbett. Stefan fragt den einzigen Menschen weit und breit, wo es weitergeht und ob das mit unserem Caddy fahrbar ist. Der Mann deutet in die Fortsetzung des Bachbetts und mein "Jaja, das geht schon, fahr halt langsam". Dann setzt er sich in seinen Jeep und fährt voraus. Im Schrittempo holpern wir hinter ihm her. Zwischendurch bessert sich die Piste schon fast zu einer normalen Forststraße, bevor sie wieder mehr einer Traktorspur ähnelt. Wie durch ein Wunder setzen wir kein einziges mal auf. Irgendwann hält der Jeep vor uns bei einem Steinmann und der Fahrer deutet auf einen schmalen Pfad. "Aha, hier geht's anscheinend los" folgert Stefan.
"Wie um alles in der Welt kommt man auf Idee, hier ein Sportklettergebiet einzubohren" frage ich mich als wir nach 20 Minuten Aufstieg entlang des schmalen Pfads durch einen mystischen Urwald noch keinen einzigen Fels gesehen haben. Kurz darauf erblicken wir an einem breiten Sattel plötzlich die Wand. Hier treffen wir auch auf einen breiten, markierten Wanderweg, der wohl von SIlvareccio von Süden heraufführt. Diesem folgen wir bis 300 m unter den Felsriegel. Das letzte Stück Weg zur Wand beschreibt der Führer mit "arrive at the crag the best you can". Unser erster Versuch war nicht der beste und endet 50 m vor der Wand in den Brombeerstauden. Der zweite Anlauf weiter links ist dann von Erfolg gekrönt
"Krasse Wand" entfährt es mir, als ich endlich davor stehe. Sie ist im zentralen Bereich etwa 40 Meter hoch und konstant überhängend. Der Wandfuß ist eben und bequem. Die Felsstruktur bietet vor allem Leisten aller Größen, aber auch einige Tafoni, Risse und Verschneidungen. Die Routenauswahl im 7. und 8. Franzosengrad ist vielfältig, für einen Tag kann man sich aber auch im Bereich 6a bis 6c locker vergnügen. Weiteres Felspotenzial wäre in allen Schwierigkeitsgraden vorhanden. Die gebotenen Routen haben (mit Ausnahme des kleinen Sektors ganz rechts) eines gemeinsam: Sie sind steil und extrem pumpig - aber durch die Bank sehr edel. Die Gerüchte können wir also nur bestätigen. Ohne Probleme schaffen wir es so, uns bis zum Nachmittag vollständig zu zerstören. Mit geplätteten Armen treten wir den Rückweg an, holpern den Schlepperweg hinab und kurven zurück ins Tal - unserer nächsten Station entgegen.