Fixpunkte beim Alpinklettern
Vorhanden Sicherungspunkte einschätzen und Eigene anbringen
Die Sicherungstechnik beim Alpinklettern unterscheidet sich fundamental vom Klettergarten. Während man in Sportklettergebieten in der Regel eine mehr oder weniger perfekte Ausstattung mit Zwischensicherungen, Umlenkungen und Standplätzen vorfindet, muss man sich in alpinen Routen oft selbst darum kümmern oder zumindest das vorhanden Sicherungsmaterial kritisch einschätzen und ggf. ergänzen. In diesem Beitrag möchte ich erklären, welche Fixpunkte man zum Sichern verwenden kann und wie man deren Haltekraft abschätzen kann.
Bohrhaken
Beim Sportklettern sind Bohrhaken inzwischen der Standard bei Fixpunkten - im alpinen Gelände hingegen nur in relativ neuen Routen und in nachträglich eingebohrten oder sanierten Klassikern.
Sehr detailliert wird das Thema in der Bohrhakenbroschüre des DAV behandelt. Ein sehr spezielles Thema ist in diesem Zusammenhang die Spannungsriss-Korrosion, die vor allem meeresnahe Standorte betrifft.
Grob kann man drei hauptsächlich anzutreffende Systeme unterscheiden:
Verbundanker ("Klebehaken")
Bei diesem Hakentyp wird der Schaft des Ankers mit einer Verbundmasse (Zweikomponentenmörtel aus Kartuschen oder in Glaspatronen) in ein Bohrloch "geklebt". Nach dem Aushärten entsteht eine formschlüssige Verbindung. Vorteile: Keine Sprengwirkung auf den Fels, dauerhaft hohe Haltekräfte, Nachteile: etwas höhere Fehleranfälligkeit beim Setzen, erst nach der Aushärtezeit belastbar.
Beurteilung: Drehversuch durch kleinen Hebel mit einem Kletterkarabiner, ob Verbundmasse ausgehärtet und fest mit Fels verbunden ist. Wenn ja ==> sehr solider Fixpunkt
Spreizanker
Der Anker besteht aus einem Schwerlastdübel, der sich im Bohrloch beim Festziehen verspreizt. Mit einer Mutter wird außen eine Lasche befestigt. Hochwertige Spreizanker sind aus Edelstahl - sie garantieren dauerhaft Festigkeit. Verzinktes Material hingegen wird mittel oder langfristig korrodieren. Vorteile: in kompaktem Fels wenig Setzfehler möglich, sofort belastbar, Nachteil: Sprengwirkung auf den Fels, daher vor allem im splittrigen Fels problematisch, oft auch erst nach Jahren, wenn Wasser in dadurch entstandene, feine Risse eindringen kann.
Beurteilung: Anker, Schraube und Lasche aus dem gleichen, rostfreien Material? Schraube fest? Gewinde steht nicht zu weit heraus? keine Risse ums Bohrloch? Wenn ja ==> sehr solider Fixpunkt
Kronenbohrhaken
Wurden vor allem in den 1970er bis 1990er Jahren verwendet. In eine (nicht rostfreie) Einschlaghülse wird mittels meist recht kurzer Schraube eine Lasche befestigt.
Beurteilung: Generell mit großer Vorsicht zu beurteilen. Umso mehr bei dünnen (M8) Schrauben und deutlichem Rostansatz. ==> Risikoeinschätzung wie bei vorgefundenen Schlaghaken (Redundanz!)
Schlaghaken (Normalhaken)
Normalhaken werden mit dem Hammer in Risse in den Fels eingeschlagen. Schlaghaken sind aus dem Alpinklettern weiterhin nicht wegzudenken, auch wenn sie aufgrund der stark zugenommenen Verbreitung von Bohrhaken etwas aus der Mode gekommen sind und unter vielen Kletterern einen schlechten Ruf genießen. Generell muss man feststellen: ein gut geschlagener Normalhaken in solidem Fels ist ein sicherer Fixpunkt. Allerdings ergeben sich gegenüber einem Bohrhaken mehrere Einschränkungen dieser Aussage:
- Nur derjenige, der den Haken schlägt kann ausreichend genau beurteilen, wie gut er sitzt und weiß wie lang sein Schaft ist. Haken mit einem "S" am Hakenkopf sind "Sicherheitshaken" für Standplätze, die bei optimaler Anbringung Haltekräfte von mind. 25 kN aufweisen. Für alle anderen Haken gibt es keine Normung, was aber nicht heißt, dass sie immer geringere Werte haben.
- Aufgrund der Sprengwirkung auf den Fels, in Verbindung mit der Erosion und der Korrosion des Metalls, nimmt die Haltekraft mit der Zeit ab. Wie stark, kann man aber auch mit viel Erfahrung nicht beurteilen.
- Da heutzutage in vielen Gebieten beim Klettern kaum noch Hammer und Haken mitgeführt werden, veraltet die Normalhakenausstattung der Routen zunehmend, und die Haltekraft des steckenden Materials nimmt im Durchschnitt immer weiter ab.
Beurteilung: Bei einem selbst geschlagenen Haken merkt man am Einschlagwiderstand und dem Einschlaggeräusch, wie gut der Haken sitzt. Bei vorgefundenen Haken muss man versuchen, anhand der Einschlagposition, der Felsqualität und des Korrosionszustandes des Hakens, dessen Festigkeit abzuschätzen. Mehr als eine ungefähre Aussage wird man aber meist nicht machen können. Wer einen Hammer mitführt, kann vorsichtig auf den Haken klopfen (nachschlagen) und anhand des Schlaggeräuschs eine bessere Aussage treffen. Haken, die nicht ganz eingeschlagen wurden und herausstehen sollte man in jedem Fall am Schaft mit einer Ankerstichschlinge abbinden, anstatt eine Expressschlinge in die Öse einzuhängen. Eine umfassende Analyse des Themas bietet dieser Artikel von Pit Schubert.
Fazit: Grundsätzlich gilt bei vorgefundenen Normalhaken das Prinzip der Redundanz: einem einzelnen Haken sollte man nie sein Leben anvertrauen! Am Standplatz wird man ihn also mit weiteren Fixpunkten kombinieren und bei Zwischenhaken in problematischem Gelände keine zu großen Sicherungsabstände in Kauf nehmen.
Fixpunkte mit Schlingen
Mit Bandschlingen, Reepschnüren und Kevlarschlingen können auf vielfältige Weise schnell und ohne großen Aufwand Fixpunkte geschaffen werden. Einige Beispiele liefert das folgende Video aus der ORTOVOX SAFETY ACADEMY LAB ROCK und erklärt, worauf es dabei ganz besonders ankommt.
Klemmkeile
Die ersten "Klemmkeile" waren Holzstücke, die in Risse geschlagen wurden. In einigen alten Routen kann man diese inzwischen meist halbverfaulten Holzkeile noch besichtigen. Dann kam die Kletterer auf die Idee, eine Schnur durch dicke Schraubenmuttern zu fädeln und sie in Rissen zu verklemmen. Der Vorteil war, dass sie der Nachsteiger problemlos wieder einsammeln konnte - also ein richtiges "Low-Budget-Sicherungsmittel".
Moderne Klemmkeile sind nicht mehr ganz so günstig, aber bieten praktikablere Formen und ein Drahtkabel sorgt für höhere Festigkeiten und besseres Handling. Sie werden in sich verjüngende Risse gelegt und verkeilt. Mit Zugrichtung nach unten können sie hohe Festigkeiten von über 10 kN erreichen. Allerdings wirken auf den umgebenden Fels bei einem Sturz hohe Sprengkräfte, beide Seitenwände des Risses müssen daher aus solidem Gestein bestehen. Je weicher das Gestein (Kalk), desto problematischer sind kleine Keilgrößen, da sie bei Belastung leicht herausgezogen werden.
Im Elbstandsteingebirge sind Klemmkeile aufgrund des weichen Gesteins verboten, da sie dort die Felsoberfläche zu sehr schädigen. Dort behilft man sich mit Knotenschlingen: In ein Seilstück oder eine Bandschlinge wird z. B. ein Achterknoten geknüpft und dieser wird wie ein Klemmkeil in Risse gelegt.
Beurteilung: Fels solide? Ausreichende Verjüngung des Risses, damit der Keil nicht durchrutschen kann? Möglichst viel Auflagefläche am Fels? Läßt sich so festziehen, dass er sich durch Seilbewegung nicht lockern kann?
==> Wenn ja: Guter Fixpunkt in Belastungsrichtung, bei möglicher Belastung in andere Richtung Abspannung erforderlich. Aber meist keine 100%ige Aussage zur Haltekraft möglich, daher ebenfalls Redundanz schaffen.
Mechanische Klemmgeräte (Friends, Camalots & Co)
Eine ganz feine Erfindung sind die mechanischen Klemmgeräte, die vor allem typische Rissklettereien deutlich erleichtern. Sie werden per Federspannung im Riss platziert, bei Belastung spreizen sich die halbkreisförmige Segmente seitlich gegen die Risswände. Ideal sind solche Klemmgeräte in parallelen Rissen. Risse die sich stark verjüngen, bzw. nach außen oder innen aufgehen sind schlechter, da sich die Klemmgeräte dann bereits bei leichter Seilbewegung auf "Wanderschaft" begeben und ihre Position verlassen. Alle Segmente sollten möglichst gleichmäßig weit geöffnet (in einer mittleren Stellung) am Fels aufliegen. Besonders wenn ein oberflächlicher weicher Belag (Flechten, Dreck, bröselige Felszacken) den direkten Kontakt der Segmente mit dem Fels verhindert, besteht die Gefahr, dass der Friend oder Camalot bei Belastung herausgezogen wird. Wie Klemmkeile sind auch mechanische Klemmgeräte aus Metall im Elbsandstein verboten, allerdings sind sie aus vielen Sandsteingebieten mit härterem Fels (z. B. in der Pfalz oder im Westen der USA) nicht mehr wegzudenken.
Beurteilung: Fels solide? Öffnungswinkel aller Segmente ähnlich und im mittleren Bereich? Auflagefläche ohne weichen bzw. brüchigen Belag? Klemmgerät wandert nicht bei Seilbewegung?
==> Wenn ja: Guter Fixpunkt in Belastungsrichtung, bei möglicher Belastung in andere Richtung evtl. Abspannung. Aber ebenfalls nicht 100% sicher einschätzbar, daher Redundanz schaffen!
ORTOVOX SAFETY ACADEMY LAB ROCK
Das gesamte Thema wird sehr ausführlich und anschaulich wird im Videoformat im Kapitel "Standplatzbau und Sicherungstechniken" der ORTOVOX SAFETY ACADEMY LAB ROCK erklärt.
Dieser Artikel kam auf Anregung der Firma Ortovox zu Stande, die mir angeboten hat, ihre Videos aus der SAFETY ACADEMY LAB ROCK in meinen Content einzubinden - natürlich mit dem Hintergedanken, ihre Inhalte breit zu streuen. Nachdem die Videos meine Beiträge perfekt ergänzen, habe ich das Angebot dankbar angenommen. Eine direkte Bezahlung für den Artikel erhalte ich nicht, allerdings unterstützt mich Ortovox im Rahmen einer langfristigen Kooperation in unterschiedlicher Form.