Der lange Weg nach Hause
Bisher waren die Ziele unserer Familienurlaube meistens von der Interessen von uns Eltern bestimmt, hauptsächlich Klettergebiete oder Hütten zum Wandern oder Skitourengehen. Inzwischen sind unsere Mädels aber 5 und 8 Jahre alt und würden gerne ab und zu etwas anderes unternehmen. Nachdem beide gerne radeln, reifte im Laufe des letzten Winters die Idee einer Mehr-Tages-Fahrradtour. Länger als 3-4 Tage wollten wir ihnen für den ersten Versuch aber noch nicht zumuten. Aaußerdem sollte die Strecke nicht allzu bergig sein, da unser tägliches Trainingsrevier hier in Rosenheim (v. a. zur Schule/Kindergarten) bretteben ist. In meiner Jugend bin ich einmal nach Mittenwald geradelt und hatte die Strecke als schön und nicht sehr schwierig in Erinnerung. In die andere Richtung geht es insgesamt fast 400 Hm bergab - müsste also noch dankbarer sein. Ein erstes Kartenstudium ergibt zwei Fernradlwege an denen man sich orientieren könnte: den Isarradweg und den Fernwanderweg Bodensee-Königsee. Bingo! Der Plan für ein verlängertes Pfingstwochenende steht.
Die Anreise mit dem Zug
"Ist es realistisch am Pfingstsamstag mit vier Fahrrädern + Anhänger in Nahverkehrszügen nach Mittenwald zu fahren" frage ich am Tag vorher den Stefan, einen Fahrrad-im-Zug-erfahrenen Freund? "Im Bummelzug von Rosenheim nach München ist es kein Problem" meint er, "aber von München nach Mittenwald wirds sicher eng. Lasst am besten den Anschlusszug aus, nehmt den nächsten und seid als erster am Bahnsteig". Gesagt getan - nach entspannter Umsteigezeit in München beladen wir das leere Fahrradabteil - das mit unseren Bikes eigentlich schon recht voll ist. Es folgt noch ein Paar mit zwei Rädern und kurz vor Abfahrt steigen weitere drei junge Männer mit ihren Rädern zu inklusive Klappstühlen und Bierflaschen ein. Sie breiten sie sich im Eingangsbereich des Waggons aus und als am ersten Halt in Pasing noch eine Familie mit drei Fahrrädern einsteigt, droht die Situation zu eskalieren. Wir können das ganze hingegen recht entspannt und amüsiert beobachten.
1. Etappe: Mittenwald - Vorderriß
Gegen halb zwei sind wir endlich am Bahnhof in Mittenwald - es geht los! Zuvor müssen wir aber noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Und dann das erste Problem: "Wie kommen wir jetzt zum Isarradweg?" Irgendwie wursteln wir uns durch die Gassen und Sträßchen hinab zum Fluß und finden dann sogar eine Brücke und die ersehnte Beschilderung. Ab jetzt ist es "a gmahde Wiesn". Schöne Radwege, meistens geteert, führen überwiegend leicht abwärts bis Wallgau. Eine erste Steigung testet auch gleich die Bergresistenz unserer Mädels. Fiona kurbelt durch, Amira steigt diesmal noch ab und schiebt. In Wallgau gibts das versprochene Eis für die Kinder und Kaffee und Kuchen für die Eltern, bevor wir durch den Golfplatz zur Mautstraße Wallgau-Vorderriß weiterradeln. Diese schlängelt sich nun entlang des wilden Flußlaufes der Isar hinab bis Vorderriß. Die meiste Zeit fällt sie ganz leicht ab, wo wir gemütlich dahinrollen können. Ein paar Gegensteigungen treten die Mädels aber recht locker hinauf. Nur der viele Kfz- und vor allem Motoradverkehr nervt, daher fahren wir meist nebeneinander damit Autos nur an übersichtlichen Stellen ohne Gegenverkehr überholen können.
Einen wunderschönen Fleck am Isarufer nutzen wir für eine weitere Rastpause. Danach wird es Zeit, sich nach einer Übernachtungsmöglichkeit umzusehen. An einem klaren Zuflussbach entdecke ich einen perfekten Platz. Wir schlagen das Zelt auf der Kiesbank auf und kochen das Abendessen, während die Mädels ganz versunken spielen. Nach der ganzen Aufregung der Vorbereitung und der Zugfahrt sowie dem für sie schon anstrengenden Radlstück von rund 25 Kilometern mit 250 Höhenmetern Anstiegen brauchen sie etwas Erholung. Umso besser schmecken danach die simplen Nudeln mit Käsesoße - anschließend schlafen sie tief und fest.
2. Etappe: Vorderriß - Gaißach
Das ist auch der Grund, weshalb wir am nächsten Tag erst gegen 10 Uhr starten. Der Abschnitt von Vorderriß bis zum Sylvenstein-Staudamm hat uns im Vorfeld am meisten Sorgen gemacht, da hier kein offizieller Fahrradweg ausgeschildert ist und auf der breiten Bundesstraße Autos und Motorräder in hohem Tempo fahren. Mit zwei Kindern, die offiziell noch nicht einmal auf einer normalen Straße fahren dürften, alles andere als optimal. Eigentlich gäbe es die Breite der Straße locker her, zwei bis drei Meter für Fahrradfahrer abzuzweigen. Leider ist man in Bayern aber diesbezüglich noch nicht so weit. Also schlängeln wir uns anfangs auf Forststraßen durch die Grammersau und im zweiten Teil auf dem Schotterweg unterhalb der Straße bis nach Fall. Die restlichen zwei Kilometer bis zum Staudamm gibs allerdings keine Alternative zur Bundesstraße. Davor möchten meine Badenixen jedoch noch die Wassertemperatur des Sylvensteinspeichers am eigenen Leib erfahren. "Brrr - eiskalt!" ruft Fiona und flüchtet nach zwei Schwimmzügen wieder an Land. Ich hatte nichts anderes erwartet, drum hab ich mir das kalte Nass gleich erspart. Sabine schafft immerhin zehn Züge und danach sogar noch den Rückweg ans Ufer.
Nach dem Hauptstraßenstück bis zum Staudamm wechseln auf dem weiteren Weg nach Lenggries schöne, ruhige Fahrradwege durch den Wald und an der Isar mit weniger schönen Passagen am Radweg direkt neben der viel befahrenen, lärmenden Bundesstraße. Pünktlich zu Kaffeezeit sind wir in Lenggries und es gibt wieder die obligatorische Eis + Cappuccino Kombination. Zufällig treffen wir hier Franz und Liane von Franz' Bikeshop, von denen ich mir am Freitag noch den Lastenanhänger für die Tour ausgeliehen habe. Im Anschluß verlassen wir den Isarradweg und über den Schwemmkegel des Steinbachs geht es ins Gaißachtal, wo wir wieder einen schönen Schlafplatz für unser Zelt finden. Knapp 40 Kilometer können wir für heute verbuchen, darin enthalten sind gut 200 Höhenmeter Steigung und einige anstrengende Schotterwegspassagen.
3. Etappe: Gaißach - Schliersee
Jetzt sind wir auf dem Bodensee-Königsee Fernradweg, der am Alpennordrand nach Osten führt. Das heißt aber auch, dass das eher gemütliche Abwärtsrollen entlang der Isar ein Ende hat. Der dritte Tag beginnt also gleich mal mit einem längeren Anstieg entlang der Gaißach hinauf nach Marienstein und einem weiteren kurzen aber sehr steilen Anstieg auf den Steinberg bevor es hinab rollt nach Gmund am Tegernsee. Für unsere Mädels ist das einen neue Qualität an Anstrengung und mit einer Mischung aus Ehrgeiz und Schimpfen bewältigen sie die Hindernisse. Als Belohnung winkt heute die Sommerrodelbahn am Oedberg, wo wir eine lange Mittagspause einlegen und eine Zehnerkarte für 30 Euro spendieren. Bevor es endgültig hinab geht zum Schliersee warten noch ein paar weitere, teils steile Anstiege und dazwischen relativ anspruchsvolle Abfahrten über steile Schotterstraßen, die beide Kinder (und auch die Eltern) bravourös meistern.
Für die Übernachtung genehmigen wir uns dieses mal einen offiziellen Zeltplatz am Schliersee und finden einen super Stellplatz direkt am Seeufer. Die große Unwetterfront streift den Schliersee nur sehr abgeschwächt, aber trotzdem schüttet und gewittert es eine halbe Stunde lang. Die eher rustikale Speisekarte der Campingplatz-Gaststätte trifft weder meinen, noch den Geschmack der Kinder. "Ich will eine Pizza" fordert Fiona. Ich ringe mich durch und radle schnell in den Ort und hole zwei Pizzas für die Mädels, da wir insgesamt nur noch 500 g Nudeln haben, was grade so für uns beide Erwachsenen reicht (zusammen mit den Pizzaresten, die die Kinder nicht schaffen) Aber nach 30 Kilometer mit fast 600 Höhenmetern Anstiegen haben sie sich diesen Sonderwunsch redlich verdient.
4. Etappe: Schliersee - Rosenheim
Für den Abschlusstag steht die mit 41 Kilometern nominell längste Etappe auf dem Plan, allerdings weist diese fast keine ernsthaften Anstiege mehr auf - umso mehr gehts dafür bergab. Die durchweg flachen Anstiege summieren sich auf gut 200 Hm, die Abfahrten auf über 500 Hm. Bis Hundham bleiben wir auf dem Bodensee-Königsee-Radweg, kürzen dann aber dort ab und fahren direkt hinab nach Bad Feilnbach. Das erste Stück führt wunderschön auf einem separaten Radweg am Westufer des Schliersees entlang. Über Neuhaus und Josefsthal rollen wir hinaus nach Aurach mit Blick auf die Südseite des Wendelsteins, dessen Nordflanke wir von zu Hause aus sehen können. Damit können sich die Kinder jetzt vorstellen, dass wir bald daheim sind. Relativ früh sind wir in Fischbachau undf fahren direkt am Freibad vorbei. "Wir wollen ins Schwimmbad!" fordern die Mädels. Den Wunsch können wir ihnen nicht abschlagen und wir ziehen die MIttagspause vor und verbringen sie hier auf der Liegewiese, bzw. der Nachwuchs hauptsächlich auf der Wasserrutsche.
Gegen 14 Uhr mahnen wir zum Aufbruch. Wir radeln über schöne, geteerte Nebenstraßen nach Elbach, wo der letzte nennenswerte Anstieg hinauf führt zum Gasthaus Kirchstiegl. Nun beginnt die Abfahrt nach Bad Feilnbach, jetzt wieder überwiegend auf Schotter. Anfangs geht es noch recht flach dahin, mit kurzen steileren Passagen. Ab dem Thalhäusl folgt aber dann ein etwa zwei Kilometer langes, recht steiles Schotterstück, das für das Fahrkönnen unserer Kinder grenzwertig ist. Amira mit ihren fünf Jahren ist die mutigere und fährt souverän und zügig hinab - die drei Jahre ältere Fiona ist heute etwas zögerlicher. Trotzdem sind wir zeitig zur Kaffeepause in Bad Feilnbach, wo wir die bewährte Eisdiele San Marco aufsuchen - und wo es zur Feier des Tages pro Person zwei Kugeln Eis gibt. Der Rest ist dann nur noch Formsache. Über Wiechs und Kleinholzhausen rollen wir nach Spöck und radeln über Nickelheim nach Pang, wo ein Stop am Erdbeerfeld das letzte Higlight bildet. Pünktlich mit den ersten Regentropfen treffen wir dann nach insgesamt vier Tagen wieder daheim ein.