Skitourenrunde im Brennergebiet
Lawinenkurs für den Bergbund Rosenheim
Traditionell steht Mitte Februar mein "Lawinen-Entscheidungstraining" im Programm der Alpenvereinssektion Bergbund Rosenheim. Schon bei der Vorbesprechung zeichnet sich eine viel versprechende Tour ab: alle fünf Teilnehmer sind erschienen, voll motiviert und scheinen sich gut zu verstehen. Entsprechend groß ist die Vorfreude, wobei die Wetterprognose aber eher durchwachsen ist.
"Vorsicht auf Gleis 5 - der Zug nach Venedig fährt ein" tönt es am Bahnhof Rosenheim aus dem Lautsprecher. Soweit wollen wir zwar nicht, aber immerhin bis Italien, genauer zum Brennerpass. Der Ausgangspunkt unserer Tour liegt etwa einen Kilometer südlich, beim Gasthaus Wolf, das wir im letzten Jahr bereits testen konnten. Die Autos lassen wir deshalb daheim. Laut Fahrplan benötigen wir von Rosenheim zwei Stunden, das geht mit dem Auto kaum schneller. Leider bleibt der Zug kurz vor dem Ziel eine halbe Stunde stehen, weil die österreichische Polizei nach gefährlichen Bösewichten sucht.
Kurz vor 11 sind wir endlich am Brenner. "Gibts eine Möglichkeit, vom Bahnhof auf die Ostseite der Gleise zu gelangen?" frage ich im Bahnhofsbistro und ernte von der Dame hinter der Theke nur ein ratloses Achselzucken. Da auch von anderen Passanten keine verwertbaren Hinweise zu erfahren sind, marschieren wir wenig begeistert 20 Minuten entlang der Brennerstraße nach Süden zur Unterführung Auf der anderen Seite von Gleis und Autobahn hatschen wir dann fast die halbe Strecke wieder zurück. Am Gasthaus Wolf hat es gegenüber dem Vorjahr deutlich mehr Schnee, und wir können sofort die Ski anlegen. Obwohl der Wetterbericht für die Mittagszeit Wetterbesserung versprochen hatte, steigen wir bei bewölktem Wetter, an der Luegeralm vorbei, zur Waldgrenze hinauf.
Der erste Steilhang liegt im dichten Nebel. Sowohl der Südtiroler als auch der Tiroler LLB geben die Lawinenwarnstufe 3 aus, mit dem Focus auf Triebschneeansammlungen ab 2000 - 2200 m. Triebschnee hat es hier nur wenige Zentimeter. Bei einem Blocktest können wir darunter eine Schwachschicht aus lockerem Pulverschnee/Wildschnee finden, wegen der geringen Mächtigkeit der darüberliegenden Schicht lässt sie sich aber schlecht testen. Im dichten Nebel steigen wir in großen Abständen über die Stufe hinauf auf das Plateau, da wir wegen der fehlenden Sicht nicht erkennen können, ob andere Bereiche des Hanges mehr Triebschnee aufweisen.
Die Schlüsselstelle ist geschafft, aber im Whiteout muss ich mehrmals mein GPS-Gerät hervorholen, um den spurenden Bernie auf Kurs zu halten. Den ursprünglich geplanten Wolfendorn verwerfen wir daher und steuern direkt nach Südosten ins Flatschjoch. Gabi darf nun die Abfahrt ins Pfitschertal führen und fährt flott ins weiße Nichts, bis wir plötzlich unter der Wolkendecke stehen. Immerhin können wir den Bruchharsch jetzt sehen. Das hat den Vorteil, dass man ihm stellenweise ausweichen kann - die etwas steileren, südexponierten Passagen sind meist tragfähig. An einem Hütterl holen wir die im zugigen Joch versäumte Rast nach. Anschließend rutschen wir stressfrei entlang der Forststraße hinab nach Kematen, wo wir direkt am Gasthaus Alpenrose abschwingen. Hier werden wir von unserer Gastgeberin Hermine sogleich freundlich begrüßt, und mit einem soliden Abendessen und genug Rotwein lassen wir den ersten Tag ausklingen.
Der nächste Morgen empfängt uns mit kristallklarem Himmel und knackigen Temperaturen. Als wir nach dem Frühstück starten, sind wir aber mit wenigen Schritten in der Sonne und sogleich wird zwischen zwei eindrucksvollen Lawinenkegeln die erste Ausziehpause fällig. Gabi spurt zielstrebig in unseren anvisierten Aufstiegsgraben hinein und überwindet die Schlüsselstelle mit vier engen, steilen Spitzkehren. Je höher wir kommen umso lichter wird der Wald und umso weitläufiger das Gelände. Die letzten paar hundert Meter ins Schlüsseljoch führen über große, mittelsteile Hänge, die wir aufgrund der nicht ganz trivialen Lawinenlage (Stufe 2 bis 3) in gebührenden Entlastungsabständen begehen.
"Wer mag jetzt die Führung übernehmen?" frage ich in die Runde und Ulli nimmt die Kapitänsbinde an sich. Darauf scheint sie nur gewartet zu haben, um ihrer bisher eingebremsten Energie freien Lauf lassen zu können. Ich häng mich an ihre Fersen und komme ziemlich ins Schnaufen. Beim Blick zurück sehe ich, wie sich unsere Gruppe auseinanderzieht. Nachdem das Gelände übersichtlich und das Wetter perfekt ist, gibt's aber keinen Grund, nicht erst am Gipfel zusammenzuwarten. Am schmalen Grat des Vorgipfels lasse ich die Dame ziehen, um die eindrucksvolle Kulisse für einige Fotos zu nutzen.
Nach einer ausgiebigen Gipfelrast in der Sonne machen wir uns bald an die Abfahrt. Nur ganz oben gibt's noch ein paar brüchige Krusten, die den Schwungrythmus gelegentlich stören. Dort wo der Hang flacher wird, finden wir dann aber perfekten Pulverschnee auf stabiler Unterlage und viel unverspurtes Gelände. Eine absolute Traumabfahrt. Berni, Ulli und Gabi bestreiken daher die Sonnenterrasse der Enzianhütte und steigen nochmal auf.
Die Enzianhütte wird diesmal die Unterkunft der Woche. Der erste Eindruck ist zwar aufgrund eines eher reservierten Empfangs durch die Wirtin und dem kettenrauchend auf der Terrasse sitzenden Wirt getrübt. Letztendlich offenbaren sich aber beide als sehr freundlich und die Küche ist grandios. Selten hab ich auf einer so unscheinbaren Hütte ein solch leckeres und üppiges Abendessen bekommen. Die Zimmer und Sanitäranlagen sind neu, sauber und ansprechend, wenn auch etwas platzoptimiert.
Für den nächsten Tag ist wolkiges Wetter mit schlechter Sicht vorhergesagt. Trotzdem kommt bei der ersten Abfahrt hinab nach Brennerbad teilweise die Sonne hervor. Wieder tragen wir die Ski entlang der Brenner-Bundesstraße, diesmal jedoch nur zweihundert Meter. Dann können wir wieder anschnallen und steigen entlang der Forststraße durch eindrucksvoll vereiste Tunnels hinauf zur Wechselalm. Heute ist Michaela mit der Führung dran und übt sich in der Spuranlage, was in der Waldzone, im teils tiefen, aufgebauten Schnee, einiges an Körner kostet. An der Waldgrenze angekommen, wechseln wir daher und unser Quotensachse Dirk darf weitermachen. Trotz seines alpenfernen Wohnorts merkt man, dass er sich nicht das erste Mal seinen Weg durch unverspurte Winterlandschaft sucht. Im eisigen Wind führt er uns zielsicher auf den Hohen Lorenzen, wo wir in der Leewalze eine überraschend gemütliche Gipfelpause im einzigen Wolkenfenster weit und breit machen können.
Auch die Abfahrt überrascht uns. Nachdem der Wind die letzte halbe Stunde des Aufstiegs permanent über Verfrachtungsstärke geblasen hat, erwarten wir uns nicht viel von der Schneequalität im Nordwesthang. Der Nordostwind hat den Pulverschnee dort allerdings verschont und so schwingen wir locker talwärts, bis wir auf die pistenähnlich eingefahrene Trasse der Grubenkopfroute treffen. Diese leitet hinaus nach Obernberg, einige Skatingminuten später schnallen wir die Ski ab und marschieren zum Alpenvereinshaus, das unser heutiges Quartier wird. Nachdem wir unangemeldet auftauchen, sind wir nicht zum Abendessen eingeplant, daher steht uns noch ein Abendspaziergang zum Restaurant von Almis Berghotel bevor, wo wir ähnlich gut essen wie am Vortag.
An unserem letzten Tourentag bläst uns beim Öffnen der Haustüre eisiger Ostwind ins Gesicht. Zehn grad unter Null fühlen sich so gleich nochmal etwas kälter an. Sobald wir den Talboden verlassen haben, legt sich der Wind jedoch und die Sonne kommt hervor. Der vermeintlich kälteste Tag wird in der Folge seinem Anspruch nicht gerecht. Der Aufstieg zur Rötenspitze ist unspektakulär, weil gut gespurt und ohne problematische Stellen. Ulli führt uns souverän hinauf und wartet auch immer wieder brav auf den Rest der Gruppe. Am Gipfel scheint die Sonne und die Stubaier Alpen präsentieren sich in ihrer ganzen Pracht, während im Osten graue Wolken hängen.
Das schöne Wetter verleitet uns dazu die Abfahrtsvariante über den Nordrücken zu versuchen. Nach wenigen Schwüngen im ersten Hang bleibe ich im knietiefen Triebschnee stecken. Mir gefällt die Vorstellung gar nicht, hier meine Fünfergruppe hinabfahren zu lassen. Ich steige die wenigen Meter wieder zurück und wir fahren über die Normalroute ins Trunajoch ab. Von hier schwingen wir über die flachen Pulverschneehänge nach Norden in Richtung Gschnitztal. Bald erreichen wir die gewalzte Forststraße, die anfangs ein längeres Schiebestück aufweist, bevor es danach flott hinabläuft ins Tal.
Im Wienerhof in Trins zelebrieren wir unsere Abschlussbesprechung standesgemäß bei Kaffee und Kuchen und lassen uns währenddessen ein Taxi rufen, das uns zum Bahnhof Steinach bringen soll. Keine halbe Stunde später sitzen wir wieder im Zug, der uns diesmal ohne größere Verzögerungen nach Hause bringt.
Fazit: Eine gelungene Skidurchquerung mit einer super Truppe, bei überraschend gutem Wetter. Die Schnee- und Lawinenbedingungen waren genau richtig, um einerseits ein bißchen was zu lernen aber trotzdem Spaß zu haben. Zusammen mit der Anreise per Bahn eine runde Sache.