Skitouren-Traverse Wipptal - Inntal
Zum ersten Februarwochenende war ursprünglich ein Treffen mit rund einem Dutzend Leuten aus dem halben Alpenraum geplant, die das Thema Anreise mit Öffis zu Skitouren voran bringen wollen. Aufgrund der immer noch nicht ganz beendeten Corona-Pandemie mussten wir es ein Weiteres mal verschieben. Das nun frei gewordene Wochenende mit guten (wenn auch lawinenkritischen) Skitourenbedingungen wollte ich aber nicht daheim sitzen. Michael Vitzthum hatte sich den Termin ebenfalls frei gehalten und so vereinbarten wir eine gemeinsame Tour. Auch einige andere Interessenten des geplanten Treffens wollten mitkommen, sagten dann aber kurzfristig doch noch ab, so dass wir die Plätze mit anderen Freunden auffüllten. Letztendlich sind wir dann fünf Personen: Michael, Angelika, Claus, Christoph und ich.
Im Winter fährt jeden Samstag um etwa halb sieben Uhr ein Sonder-ICE von München über Innsbruck nach Landeck, der für unseren Plan perfekt passt. Um 7 Uhr radle ich in Rosenheim zum Bahnhof und steige um 7.12 Uhr zu den anderen in den Zug. Der ist zwar rappelvoll, allerdings haben mir meine Freunde noch einen Platz gesichert - welch ein Service! Während sich am Inntaldreieck bereits die ersten Staus bilden rollen wir durch das bayerische Inntal nach Kufstein. Endlich in Österreich geht es auf der Neubaustrecke zügig nach Innsbruck. In aller Ruhe können wir gemeinsam die Tour planen und nochmal alles Wichtige besprechen. Die Lawinenlage ist angespannt, am Vortag gab es zwei tragische Lawinenunfälle, aus den sozialen Medien schlägt Tourengehern pauschal eine Mischung aus Unverständnis und Hysterie entgegen. Dabei sind die Tourenbedingungen eigentlich ziemlich gut, das Wetter ist perfekt, Schnee hat es genug. Nur die Schneebrettgefahr bleibt erheblich, ihr gilt es auszuweichen.
Beim Umsteigen in den Bus, bleibt in Innsbruck noch Zeit für einen Kaffee, dann geht es auf kurviger Straße hinauf nach Ellbögen. Im Ortsteil Mühltal steigen wir aus, tragen unsere Ski von der Bushaltestelle zwei Minuten bis zum Ortsende und schnallen sie an. Geplant ist der Aufstieg auf den Morgenkogel, allerdings über die Westseite. Die Route wird meistens von einem Parkplatz in Oberellbögen begonnen, daher müssen wir uns über Waldwege, Forststraßen und Lichtungen erst einmal selbst unseren Weg bis bis zur gut ausgetretenen Aufstiegsspur suchen. Wir treffen aber immer wieder auf einzelne Spuren die schließlich alle irgendwann zur Hauptroute führen. Das Gelände ist absolut lawinensicher, die Aussicht wird immer besser je höher wir kommen und der Pulverschnee glitzert in der Sonne. Nur der leichte, aber ungemütlich kalte Wind stört oberhalb der Waldgrenze etwas.
Die Gipfelpause am Morgenkogel fällt daher nicht allzulange aus, obwohl wir uns an dem gewaltigen Panorama nur schwer satt sehen können. Was wir ebenfalls sehen, sind mehrere Spontanlawinen gegenüber im Arztal und auch eine offensichtliche Fernauslösung in der Nähe der dortigen Aufstiegsspur zum Pfoner Kreuzjöchl. Ein deutlicher Hinweis für uns, wachsam zu bleiben und nichts zu riskieren. Die Abfahrt über die flachen Mulden nach Norden gibt in dieser Hinsicht jedoch keinen Anlass zur Sorge, schon eher der ein oder andere versteckte Stein. Nach Umfahrung des Signalkopfs haben wir die Sharks hinter uns. Wir können die Handbremse lockern und den Powder so richtig stauben lassen. Den einzigen Steilhang umfahren wir links - und tatsächlich nehmen wir an der Waldgrenze ein "Wumm"-Geräusch wahr. Zahlreiche Schwünge später sitzen wir mit dem Zillertaler Radler in der Nachmittagssonne auf der Terrasse des Meißnerhauses.
Christoph ist zufrieden mit dem Tag. Es war seine erste Öffi-Tour und sein erster richtiger Belastungstest für die neue Titan-Hüfte. 1600 Höhenmeter Aufstieg und knapp 1000 Höhenmeter Abfahrt, da kann man nicht meckern, auch wenn er jetzt am Abend wieder etwas ungelenk wirkt. Außer uns sind noch zwei andere Gruppen auf der Hütte - alle anderen haben abgesagt. Nicht wegen Corona, sondern wegen Lawinengefahr meint der Wirt. Dabei sind sowohl der Hüttenzustieg, als auch genügend Hänge im Umkreis der Hütte so gut wie lawinensicher. Mit Grundkenntnissen in der Lawinenbeurteilung hätte man hier ein traumhaftes und trotzdem sicheres Skitourenwochenende verbringen können. Aber klar, die tragischen Unglücke vom Freitag können schon Angst machen. Blöd für den Wirt - gut für uns. Wir haben das Lager für uns alleine und auch in der Gaststube ist viel Platz.
Für Sonntag vormittag ist gutes Wetter angesagt, bevor es ab Mittag langsam zuziehen soll. Bei strahlendem Sonnenschein spuren wir hinauf in Richtung Glungezer. Der Aufstieg über den Südwesthang ist unser Plan A. Plan B wäre der Umweg über Boscheben gewesen, wenn uns der Direktanstieg zu kritisch erschienen wäre. Allerdings sind am Vortag bereits gut 10 Personen über unsere Route abgefahren und der Hang war ganztags in der Sonne. Mit Abständen und überlegter Spuranlage halten wir den Aufstieg am Vormittag für gut vertretbar. An der Glungezerhütte vorbei geht es zum höchsten Punkt, von dem aus man angeblich über 500 Gipfel sehen kann. Könnte hinkommen, wir zählen aber nicht nach. Bei der Abfahrt kommen wir an der Hütte nicht mehr vorbei. Kuchen, Kaspresknödel und Bier schmecken ähnlich gut wie auf dem Meissnerhaus, aber die Preise sind deutlich an die schwierigere Versorgungslage und die höhere Popularität angepasst.
Zwei offensichtlich noch sehr fitte ältere Damen sitzen bei uns am Tisch, die ihren "Glungi" seit Jahrzehnten kennen. "Wisst ihr wie die Abfahrt zur Karlskirche ausschaut" erkundige ich mich? "Naa - da fahrst nach Tulfes und mit dem Bus nach Innsbruck, nach Volders habst koan guat'n Schnee" rät sie uns ab. Nach dem Motto "Lieber schlecht Skifahren als gut Busfahren" beschließen wir, den Rat zu ignorieren und machen uns an die über 2000 Höhenmeter lange Reise hinab ins Inntal. Dabei ist alles geboten - von Pulverschneee über ausgefahrene Buckelpisten bis hin zur perfekt präparierten Skipiste im Bereich des Skigebiets. Nach Verlassen der Piste bleibt uns der Pulver sogar bis übers Windeck hinaus erhalten. Der versprochene Bruchharsch kommt dann zwar doch noch, aber bereits nach etwa 200 Höhenmeter trägt der Deckel wieder und wir kommen alle heil an der Karlskirche an, 2100 Höhenmeter tiefer als der Glungezergipfel.
Claus wollte an der Kirche zwar eigentlich noch zum Beichten, aber nachdem 20 Minuten später unser Zug fährt und wir zum Bahnhof noch eine 15minütige Wanderung absolvieren dürfen,bleibt dafür leider keine Zeit mehr. So muss er die Last seiner vielen Sünden wohl noch länger mit sich herumschleppen. Am Fußweg zum Zug bucht der Michael am Handy bereits die Tickets für uns alle und fünf Minuten vor Abfahrt stehen wir am Bahnsteig. Welch eine Punktlandung! Und das beste - wir müssen jetzt nicht irgendwo hin und ein Auto abholen, sondern setzen uns einfach in den Zug und fahren nach Hause. Entspannt rollen wir das Inntal hinaus und sparen uns auch das Mitleid für die vielen Autofahrer, die sich zeitgleich zähflüssig in Richtung München stauen.