Mehrtages-Skitour Tuxer Alpen
Lawinen-Entscheidungstraining mit Durchquerungscharakter
Eines der Highlights jedes Skitourenwinters in meinen Ausbildungsangeboten für meine Alpenvereinssektionen stellt das "Lawinenentscheidungstraining" dar. Dabei unternehmen wir eine mehrtägige Skitour als Durchquerung oder Rundtour von Hütte zu Hütte und widmen uns der Lawinenbeurteilung in der Praxis. Heuer bot ich die Veranstaltung im Programm der Alpenvereinssektion Bergbund Rosenheim für maximal fünf Teilnehmer an. Im Vorfeld hat sich dann durch die grassierende Grippewelle die Teilnehmerzahl auf nur noch drei reduziert, die meisten Wartelistenkandidaten waren leider nicht mehr flexibel genug noch kurzfristig einzuspringen. Bei der Vorbesprechung legten wir uns aufgrund der Wettervorhersage auf die Tuxer Alpen fest.
Eines der Highlights jedes Skitourenwinters in meinen Ausbildungsangeboten für meine Alpenvereinssektionen stellt das "Lawinenentscheidungstraining" dar. Dabei unternehmen wir eine mehrtägige Skitour als Durchquerung oder Rundtour von Hütte zu Hütte und widmen uns der Lawinenbeurteilung in der Praxis. Heuer bot ich die Veranstaltung im Programm der Alpenvereinssektion Bergbund Rosenheim für maximal fünf Teilnehmer an. Im Vorfeld hat sich dann durch die grassierende Grippewelle die Teilnehmerzahl auf nur noch drei reduziert, die meisten Wartelistenkandidaten waren leider nicht mehr flexibel genug noch kurzfristig einzuspringen. Bei der Vorbesprechung legten wir uns aufgrund der Wettervorhersage auf die Tuxer Alpen fest.
Am Samstagmorgen gehts dann los. Berhard hat sich auf seinen Rover noch eine Dachbox aus meinen Altbeständen montiert und zu viert fahren wir ins Wattener Tal. 10 cm Neuschnee auf solider Unterlage und die ersten schüchternen Wolkenlücken empfangen uns am Parkplatz neben dem Kasernengelände vom Lager Walchen. Die erste Übernachtung haben wir auf der Peer-Alm im Naviser Tal gebucht. Um dorthin zu kommen marschieren wir durchs Mölser Tal erst auf der Rodelbahn, dann entlang eines wildromatischen Zirbenwegs zum Möls-Hochleger. Das Kurskonzept sieht vor, dass sich alle Teilnehmer in der "Führung" der Gruppe abwechseln. Nachdem wir insgesamt nur zu viert sind und wir genau vier Tage zur Verfügung haben einigen wir uns auf tageweises Abwechseln und heute am ersten Tag liefere ich sozusagen die Demo ab. Schon auf dem Zirbenweg gibts einen Vorgeschmack was das heißt - nämlich waden- bis knietiefe Spurarbeit.
"Pause!" Verkünde ich am Möls Hochleger. Die Sonne kämpft sich langsam durch die Wolken und wir reduzieren erstmal das Rucksackgewicht um einige Scheiben Brot und den ein oder anderen Becher Tee. "Wie gehen wir jetzt weiter?" frage ich in die Runde. Fest steht zwar unser Tagesziel, aber den Weg dorthin haben wir bewußt offen gelassen, um uns an der aktuellen Wetter- und Schneelage orientieren zu können. Wir entscheiden uns für den Weg über den Nördlichen Schober mit der Option, am Nachmittag noch in Richtung Naviser Sonnenspitze aufzusteigen. Am steilen Nordhang des Schobers steht die erste relevante Risikobeurteilung an. Das Licht ist noch etwas diffus, so dass eine Hangneigungsschätzung nicht leicht möglich ist. Anhand der Karte messen wir gut über 30 Grad. "Was sagt uns der Lawinenlagebericht?" möchte ich wissen. "Stufe 2 mit Hauptgefahr Triebschnee in allen Hangrichtungen" antwortet Elli korrekt. Windeinfluß ist zwar von unserem Checkpunkt nicht erkennbar, aber nachdem der Neuschnee von letzter Nacht möglicherweise ältere Triebschneepakete überdecken könnte entscheiden wir uns für Entlastungsabstände.
Ich spure los und messe mit der Stockmethode am ersten Steilaufschwung knapp 35 Grad, danach wird es etwas flacher, meist um 30 Grad. Spannungsarm liegt der lockere Pulver knietief im Nordhang. "Eigentlich müssten wir den Rucksack hier abwerfen und gleich einmal hinabstauben" meint Bernhard als wir den Grat erreichen. Ich plädiere aber stattdessen lieber für die lehrreichere Variante mit der Sonnenspitze und so bauen wir während der Gipfelbrotzeit unsere Ski auf Abfahrt um. Südseitig ist der Pulverschnee schon etwas schwerer, trotzdem steht uns eine schöne Abfahrt bis bevor. Bei einer Almhütte auf 1900 m ziehen wir nochmal die Steigfelle auf und über das schöne, kuppierte Gelände lege ich eine großzügige Spur hinauf auf die Grafmartalm. Hier entscheidet sich Stephan dafür, an einem sonnigen Felsen auf uns zu warten, während wir weiterziehen in Richtung Gipfel.
Aufgrund der fortgeschrittenen Tageszeit setze ich eine Deadline für den spätesten Umkehrpunkt um Viertel nach 5, so dass wir noch eine Stunde Tageslicht für die Abfahrt haben. Unter dem steilen Gipfelhang mit einer triebschneegefüllten Rinne gibt es noch eine kurze Diskussion und wir entscheiden uns für eine Linksquerung zum Grat. Dort angekommen ist unser Zeitbudget erschöpft und wir verstauen kurz vor Sonnenuntergang unsere Felle und schwingen hinab zum bereits ungeduldig uns entgegensteigenden Kameraden. "Ein Wahnsinnslicht" entfährt es mir als Stephan gerade seine Ski umrüstet und ich fotografiere begeistert die im goldenen Abendlicht leuchtenden Bergspitzen.
Von der Abfahrt zur Peer-Alm gibts leider nicht viel Gutes zu berichten, da die nachmittags sonnenbeschienenen Hänge in der abendlichen Kühle eine "eklige Haut" bekommen, die umso garstiger wird, je weiter wir abfahren. Wir sind an diesem Tag anscheinend die einzigen Übernachtungsgäste an der Alm, was wohl daran liegt, dass der vorhergehende Pächter lieber Tagesgäste bewirtete. Ich hatte mehrmals versucht dort zu reservieren, wurde aber immer mit dem Hinweis auf Vollbelegung abgewiesen, wobei angelbich abends selten voll war. Die neuen Pächter haben noch etwas mit diesem Ruf zu kämpfen, aber es dürfte sich bald herumsprechen, dass die Peer-Alm ein guter Stützpunkt für Skitouren im Naviser Tal ist.
Am Sonntag ist vormittags noch passables Bergwetter angekündigt, bevor ab Mittag mit Schneefall und Sturm in den Hochlagen zu rechnen ist. Unser Ziel für diesen Tag ist die Lizumer Hütte wohin mehrere Wege führen. An der Klammalm müssen wir uns entscheiden, ob wir rechts herum über den Geier, geradeaus durch das Tarntal zur Lizumer Sonnenspitze oder die Notlösung links über das Klammjoch wählen. Nachdem Wetter und Lawinenlage noch passen, nehmen wir die am wenigsten verpurte Alternative in der Mitte. Unser Guide für den Tag ist die Elli, die eine souveräne Spur hinauf in die obere Knappenkuchl legt. Dort möchte sie eine anstehende Bachquerung mit "Riesenumweg" und 10 Höhenmeter Abfahrt zu einer Brücke bewältigen, während es geradeaus doch viel spannender ausschaut. Sie läßt sich von uns zu der Abenteuervariante überreden und mit vereinten Kräften können wir sie daraufhin gerade noch vor dem Ertrinken retten. Dafür lamentiert sie für den Rest der Tage, dass sie sich nie wieder von uns wird beeinflussen lassen.
Der landschaftlich spektakuläre Aufstieg durch das Tarntal hingegen verläuft dann deutlich weniger aufregend. Problemlos aber im inzwischen aufgezogenen Schlechtwetter erreichen wir die Lizumer Sonnenspitze. Den eigentlich eindrucksvollen Tiefblick zu unserem nächsten Quartier verleidet uns das dichte Gewölk und so machen wir uns schleunigst auf den Weiterweg. Leider verhindert eine felsige Stufe mit triebschneegefüllter Rinne eine etwas direktere Abfahrt in den Lizumer Boden, so dass wir nochmal für ein kurzes Stück die Felle aufziehen müssen. Auch danach kommt keine so rechte Freude auf, da der Wind den schönen Pulverschnee auf der Geier-Abfahrt schon etwas bearbeitet hat. Das sehr diffuse Licht machts nicht besser. Je näher wir unserem Tagesziel kommen, desto lockerer wird aber die Schneequalität und an der Hüttenterrasse angekommen lugt sogar wieder die Sonne hervor. So steht einer kurzen Boulderrunde an der Hüttenkletterwand nichts mehr im Wege.
Gegenüber der Peer-Alm ist die Lizumer Hütte ein Hotelbetrieb. Bei der Anmeldung bekomme ich eine Nummer, worauf meine Bestellungen abgerechnet werden. Nach dem Bezug der Lager finden wir uns alle gesellig zur Nachbesprechung im Gastraum wieder. "Einen gespritzten Apfelsaft, bitte" bestelle ich beim osteuropäischen Kellner. Er blickt mich mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Vorwurf an. "Eine Apfelschorle" versuche ich meinen Wunsch zu präzisieren. Ohne Regung schaut er weiterhin als ob ich was Falsches gesagt hätte. Nach endlosen Sekunden produzieren meine ausgetrockneten Gehirnzellen dann doch noch den rettenden Geistesblitz. "Nummer sechzehn!" schiebe ich hinterher. Wortlos stapft er davon und bringt mir umgehend mein gewünschtes Getränk. Ansonsten gäbs noch einiges zu der Hütte zu erzählen. So ist der auf den ersten Blick etwas grummelige Hüttenwirt sehr besorgt um die Sicherheit seiner Gäste und bringt am Morgen jeder Gruppe persönlich den Lawinenlagebericht an den Tisch. Dazu gibt er bereitwillig meist kompetente Auskunft zu den Tourenmöglichkeiten und zu seiner Einschätzung der Lawinenlage im Umkreis der Hütte. Daneben ist das Publikum eine schräge Mischung. Da ist zum einen eine riesige Gruppe Schneeschuhgeher mit erheblichem Mitteilungsbedürfnis. Andererseits sorgt eine verirrte Rotte Freerider mit Skiern in Snowboardbreite, riesigen Bindungsklötzen, Ganzkörperschneeanzügen und Skihelmen, die nicht mal in der Hütte abgenommen werden, für Staunen und Gesprächsstoff.
Der Alpenvereinswetterbericht verspicht uns für Montag "unbrauchbares Bergwetter". Na bravo - ausgerechnet an dem Tag mit dem kompliziertesten Übergang. Wir müssen zur Weidener Hütte und nachdem das Grafennsjoch am Abschlußtag als Rückweg zum Auto geplant ist, wollen wir eigentlich auf einem anderen Weg zu unserem Ziel. Schneesturm, fehlende Sicht und Lawinenwarnstufe 3 sorgen dafür, dass wir heute ein wenig gefordert werden. Nachdem der Stephan sich mit seinen nagelneuen Skischuhen seine Füße geschrottet hat, darf er heute erstmal Guide spielen so lange er durchhält, da ich voraussichtlich irgendwann das Kommando übernehmen werde. Brav spurt er den ersten Hang hinter der Hütte in Richtung Torjoch, worauf die Freerider-Rotte nur gewartet hat und uns in sicherem Abstand folgt. Nach einer kurzen Blasenpflaster-Erneuerungs-Pause aus der Rucksack-Apotheke übernimmt der Bernhard die Führung und im Aufstieg zur Torspitze zeigen sich sogar ein paar ganz kurze Wolkenlücken. Das solls dann aber gewesen sein mit Sicht für heute. Am Gipfel empfängt uns strammer Wind mit Schneefall. Die Sichtweite beschränkt sich auf den unmittelbaren Nahbereich und so häufen sich die Blicke auf das GPS-Gerät beziehungsweise die darauf installierte Alpenvereinskarte um den etwas verwickelten Weg hinab zur Vallruckalm zu finden. Die Lawinenlage ist nicht ganz so kritisch wie befürchtet - Neuschnee gab es bisher kaum und der Triebschnee ist aufgrund der relativ hohen Temperaturen nicht besonders spröde. Für die Mittagspause an der Alm findet unser "Brotzeitplatzverantwortlicher" Bernhard einen windgeschützten Schuppen und wir beraten den Weiterweg. Wir entschließen uns für die direkte Queren zum Geiseljoch, wo wir - falls sich das Wetter bessern sollte - noch auf die Halslspitze aufsteigen könnten.
Was sich nach der Mittagspause ändert ist die Schneefallintensität, die langsam zulegt. Gepaart mit dem Sturm verschärft sich auch die Triebschneesituation langsam, so dass an der Böschung des Fahrwegs zum Geiseljoch die ersten spontanen Mini-Schneebretter abgehen. Zum Glück ist das Gelände oberhalb von uns zu harmlos, um uns ernsthaft zu gefährden. Das läßt sich aber nur aus der Karte ablesen, Sicht gibts schon lange keine mehr. Am Geiseljoch angekommen gibt der Wind durch den Düseneffekt nochmal richtig Gas, trotzdem entscheiden wir uns, noch ein Stück in Richtung Nafingjoch aufzusteigen um in der Abfahrt die Querung einiger steiler Gräben zu umgehen. Endlich ziehen wir an einer Rippe die Steigfelle ab und machen uns schleunigst aus dem Staub - hinab in tiefere Gefilde und heraus aus der Düse. Mit jedem Meter dem wir uns der Nafingalm nähern läßt der Wind nach und die Sicht bessert sich, so dass wir sogar noch einige nette Pulverschwünge hinlegen können, bevor wir auf der Almstraße hinabrutschen zur Weidener Hütte.
Vom Hüttenwirt Thomas werden wir mit einem herzlichen Handschlag begrüßt. Ich war ja erst vor einigen Wochen mit einem Lawinenkurs bei ihm, aber im Gegensatz zu damals ist die Hütte diesmal leer. Nur ein Pärchen übernachtet außer uns noch hier. Das schlechte Wetter hat anscheinend alle abgeschreckt, obwohl für Dienstag ein schöner Tag angesagt ist. So genießen wir die exklusive Bewirtung und tanken die Reserven für den Abschlußtag ein letztes Mal auf.
Am Dienstag erwartet uns blauer Himmel und ein kalter, frischer Wind, der allerdings im Laufe des Tages nachlassen soll. Unsere Tour beginnt mit einer kurzen Abfahrt in 10-15 cm Pulverschnee über den Westhang unter der Hütte. Es folgt eine Querung durch wunderschönen, winterlichen Zirbenwald an den Nordhängen des Hobarjoch bis zur Grafennsalm. Zahlreiche spontane Schneebretter an den steilen Osthängen zwischen Hobarjoch und Wildofen zeugen von der nicht zu unterschätzenden Lawinensituation. Im Talschluss erwartet uns ein etwa 200 m hoher und gut 30 Grad steiler Hang mit knietiefem, teilweise angewehtem Schnee. Hier sind überlegte Routenwahl und Entlastungsabstände angesagt. Bernhard zaubert eine astreine Spur in das unberührte Kar. Im Flachstück nach dem Hang gibts eine kurze Pause, da das heikelste Stück damit überwunden ist. Herrliches Skigelände, kaum steiler als 25 Grad, leitet nun hinauf ins Grafennsjoch, wo wir unseren lädierten Stephan deponieren und zu dritt auf die Grafennsspitze spurten.
Wie üblich ist die Gipfelrinne pistenählich eingefahren, aber ab dem Joch verlieren sich die wenigen Spuren in den weiten Hängen, so dass wir in überwiegend unverspurten Mulden hinabschwingen zum Hochleger der Außermelanalm. Leider versteckt sich ein Fels knapp so schäbig unter der Schneeoberfläche, dass ich zur Begeisterung meiner Teilnehmer einen sehenswerten Salto mit missglückter Landung zeige. An der warmen Südwand einer Almhütte genießen wir die Nachmittagssonne und vernichten die restliche Verpflegung aus den inzwischen deutlich leichteren Durchquerer-Rucksäcken. Begeistert von den fürwahr abwechslungsreichen vier Skitourentagen schwingen wir im Anschluß hinab zum Auto am Lager Walchen und treten die Heimreise an.