Die Masterclass - Lawinen-Expertenwissen per Video
Kurz zur Info vorab: Ein Freund von mir war an der Produktion des Lehrgangs beteiligt und ich konnte mir die Videos kostenlos ansehen, um Feedback zu geben. Dieser Artikel war keine Bedingung für den Gratis-Zugang. Falls jemand über diese Seite einen Kauf tätigt, bekomme ich jedoch über ein Affiliate-Programm etwas Provision.
Die Masterclass: Lernen von den Besten. Dieses Schulungskonzept gibt es in anderen Bereichen schon länger und die ASI-Academy (von der Alpinschule Innsbruck) hat es nun aufgegriffen und auf die Themen Skitouren und Lawinen angewandt. In Zusammenarbeit mit den Experten von LoLa - Alpine Safety Management (Peter Plattner, Walter Würtl) wurde ein methodisch-didaktisches Konzept erarbeitet in dem hochkarätige deutschsprachige Experten in meist 10-20 minütigen Videovorträgen Lehreinheiten zu fast allen lawinenrelevanten Themen halten. Der Lawinenkurs besteht aus ingesamt 11 Stunden Videomaterial und kostet 199 Euro (inklusive eines eintägigen Praxis-Workshops). Beim Skitourenkurs ist der Theorieteil mit 3 Stunden deutlich kürzer, er kostet mit dem Praxistag zusammen 149 Euro. Ich habe mir aber nur den Lawinenkurs angesehen und möchte ihn in diesem Beitrag vorstellen.
Einen kurzen Eindruck um was es genau geht, bietet Euch der folgende Trailer:
Inhalte
Der Lawinenkurs setzt sich aus folgenden Einheiten zusammen:
- Lawinenwissen heute und früher - Referent: Rudi Mair (Leiter Lawinenwarndienst Tirol)
- EAWS Gefahrenstufenskala - Christoph Mitterer (LWD Tirol, ÖGSL)
- Regionale Lawinenprognose - Sarah Graf (LWD Südtirol), Patrick Nairz (LWD Tirol)
- Meteorologie & Schneefall - Sarah Graf (LWD Südtirol, Meteorologin), Michael Winkler (ZAMG, Meteorologe, Bergführer)
- Schneekristall & Schneedecke - Michael Winkler (ZAMG, Meteorologe, Bergführer), Ingrid Reiweger (BOKU, Physikerin, Lawinenforscherin)
- Zutaten & Eigenschaften für Lawinen - Jürg Schweizer (Leiter des SLF), JT Fischer (Lawinendynamiker, Institut für alpine Naturgefahren)
- Die fünf Lawinenprobleme - Norbert Lanzanasto (LWD Tirol)
- Schneedeckenuntersuchung - Jürg Schweizer (Leiter SLF), Patrick Nairz (LWD Tirol)
- Schneedeckentest - Jürg Schweizer (Leiter SLF), Ben Reuter (Bergführer, Lawinenforscher), Walter Würtl (LoLa)
- Lawinenrisiko & Gefahr - Walter Würtl (LoLa)
- Menschen & Gruppen - Pauli Trenkwalder (Bergführer, Psychologe)
- Planung & Vorbereitung - Patrick Nairz (LWD Tirol), Ben Reuter (Bergführer, Lawinenforscher)
- Beurteilungsmethoden Grundlagen - Christoph Mitterer (LWD Tirol, ÖGSL), Walter Würtl (LoLa)
- Beurteilungsmethoden in der Praxis - Ben Reuter (Bergführer, Lawinenforscher)
- Analyse von Lawinenunfällen - Patrick Nairz (LWD Tirol), Walter Würtl (LoLa)
- Lawinen-Notfall, Statistik & Medizin - Peter Paal (Intensivmediziner, Präsident des ÖKAS)
- Lawinennotfall, Notfallausrüstung - Manuel Genswein (MountainSafety)
- Lawinennotfall-Algorithmus, Kameradenrettung - Manuel Genswein (MountainSafety), Peter Plattner (LoLa)
- Lawinennotfall-Algorithmus, Erste Hilfe - Philipp Dahlmann (Bergretter, Notfallsanitäter), Markus Thaler (Notarzt, Flugretter)
Zielgruppe
Für wen eignet sich dieser Lehrgang? Der Lehrgang richtet sich nicht an Neulinge, die zum ersten Mal mit der Materie Lawinenkunde in Kontakt kommen. So werden zum Beispiel die gängigen Standardinhalte eines Basis-Lawinenkurses wie die regelbasierten Beurteilungsmethoden nur kurz am Rande erwähnt. Davon sollte man auf alle Fälle schon gehört haben, damit man für seine eigene Praxis genug mit dem Kurs anfangen kann. Allerdings kann man sich die Videos so oft ansehen, bis man auch das letzte Detail verstanden hat oder kann pausieren und Fachbegriffe oder Zusammenhänge anderweitig nachlesen. Darüberhinaus werden viele Details und Zusammenhänge mit Beispielen aus der Praxis draußen im Schnee verdeutlicht. Umfassende Wintererfahrung im Gebirge ist also von Vorteil, damit solche Erläuterungen ihre beabsichtigte Wirkung erzielen. Zu beachten ist vielleicht noch, dass einige Referenten mit mehr oder weniger starkem Akzent sprechen. Das bringt einerseits Abwechslung und eine persönliche Note in die Einheiten, kann aber bei manchen alpenfernen Zuhörern womöglich Verständnisprobleme hervorrufen.
Nutzen für die Praxis
Der Zuhörer bekommt in dem Lawinenkurs sehr tiefe Einblicke in die Thematik vermittelt. Die Vorträge zeigen den aktuellen Stand des Wissens und sind hervorragend aufbereitet. Ein fortgeschrittener Tourengeher mit langjähriger Erfahrung in der eigenverantwortlichen Lawinenbeurteilung wird sein Wissen damit nicht nur updaten, sondern auf ein neues Level heben können. Wer selbst in der Ausbildung tätig ist wird ebenfalls viele methodische Anregungen für sich herausziehen können, die er so vielleicht noch nicht gehört hat. Als Beispiel möchte ich die Einheit von Ben Reuter vorstellen, in der er die von ihm mitentwickelte Risikobeurteilungs-Methode GKMR zur Tourenplanung und zur Beurteilung im Skitourengelände vorstellt.
Bezüglich der zahlreichen Gelegenheitstourengeher bin ich aber skeptisch, ob sie aus diesem Kurs viel für ihr Unterwegssein auf Skitour ziehen können oder ob sie sich nicht doch eher überfordert fühlen. Wie bereits erwähnt, werden einige Basics wie Snowcard, Stop or Go etc. nur erwähnt aber nicht erläutert, obwohl sie in vielen Lawinenkursen als Standardinstrumente gelehrt werden. Hier wird m. E. ein Schritt übersprungen, wenn man dieser Zielgruppe einen Weg aufzeigen möchte, wie sie sich an die Materie herantasten und mit geringem Risiko eigene Erfahrungen sammeln kann.
Persönliches Fazit
Dieses Kursformat ist in der Lawinenausbildung (zumindest im deutschsprachigen Raum) komplett neu und ich finde die Idee und die Umsetzung sehr gut. Obwohl ich der Meinung bin, bereits über ein recht fundiertes Wissen zum Thema Lawinen zu verfügen, gibt es kaum ein Video von dem ich nicht sagen könnte, ich hätte dadurch nichts hinzugelernt oder zumindest neue Erklärungsansätze gewonnen. Dabei hat jeder Referent seinen eigenen Stil: von der präzisen Sprache Jürg Schweizers, über die legeren, bildhaften Vorträge Ben Reuters bis hin zu Sarah Graf mit ihrem sympathischen Südtiroler Dialekt. Die elf Stunden Videomaterial splitten sich dadurch in viele leicht verdauliche Happen auf. Ich selbst habe zum Beispiel während der letzten Wochen immer wieder abends, wenn Zeit war, eines oder zwei der Videos angeschaut und so nie das Gefühl dass es fad oder das Zuhören anstrengend geworden wäre.
Der Preis von 199 Euro erscheint auf den ersten Blick sehr hoch. Allerdings beinhaltet der Kurspreis auch einen eintägigen Praxis-Workshop mit der ASI, wodurch sich meines Erachtens ein faires Angebot ergibt. An so einem Praxistag hab ich jedoch nicht teilgenommen und kann daher auch keine Beurteilung dazu abgeben. Ich finde aber fraglich, ob ein solcher Workshop für jeden sinnvoll ist oder ob zwei unterschieldliche Preise mit und ohne Praxistag nicht besser wären. Vielleicht wird das Angebot ja demnächst noch etwas differenzierter gestaltet, zumidest hab ich die ASI bereits drauf hingewiesen.