Wetterlotto im Wilden Kaiser
Alpinkletterkurs für den DAV-Bergbund Rosenheim
"Eine stabile Hochdrucklage wird es sicher nicht geben" verspricht uns der Bergwetterbericht der ZAMG für das verlängerte Wochenende, an dem mein Alpinkletterkurs für die DAV-Sektion Bergbund Rosenheim angesetzt ist. Immerhin soll täglich zumindest vormittags brauchbares Kletterwetter herrschen. Plan B bei Blitz, Donner und Regen ist der kleine Schulungsraum am Stripsenjochhaus, wo man an der Mini-Kletterwand die ein oder andere Theorieeinheit mit Trockenübungen im Trockenen aufhübschen kann.
Mit sechs gut gelaunten Teilnehmern geht's am Donnerstag vormittag von der Griesneralm den altbekannten Weg in Richtung Stripsenjochhaus. Noch vor der Hütte zweigen wir links ab zum Gamswandl, dem schönen Klettergarten im Wildanger. In den ein bis zwei Seillängen langen Routen sollen sich alle mit dem plattigen Kaiserfels anfreunden. Nebenbei werden die ersten Inhalte besprochen und trainiert, wie das Umbauen am Stand auf Abseilen, Abseilen mit Prusikhintersicherung sowie Seilhandling und Seilkommandos bei Mehrseillängenrouten. Nach dem ersten Gewitterstreifschuss und einem weiteren herannahenden Wolkenturm, beschließen wir die Abschlussübung für diesen Tag zu streichen und erst einmal zur Strips aufzusteigen. Kaum zehn Minuten nach unserer Ankunft beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. "Da haben wir alles richtig gemacht" freut sich Michi. Bei Kaffee und Kuchen besprechen wir den weiteren Nachmittag. Leider fällt Plan B aus - der Schulungsraum wurde für eine größere Gruppe als Notlager mit Matratzen aufgebettet. Plan C findet also im Nebenraum der Gaststube statt, wo ich Reihenschaltung und Kräftedreieck am Kachelofen erkläre.
Am Freitagmorgen lacht die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Die letzten nassen Flecken vom Regen des Vortags verflüchtigen sich in Windeseile aus den umgebenden Felswänden. Am Vormittag widmen wir den Fixpunkten beim Alpinklettern viel Zeit. Das Übungswandl im Teufelswurzgarten bietet mit zahllosen Rissen, Zacken, Köpfeln und Sanduhren beste Voraussetzungen dafür. Sogar kleine Bäumchen und Latschen gäbe es, aber unsere studierte Frau Forstwirtin schimpft mit uns, als wir diese armen Lebewesen mit Würgeknoten als Fixpunkt malträtieren wollen.
So nach und nach wächst das Vertrauen der Teilnehmer in selbst gelegte Sicherungsmittel. Einen kleinen Dämpfer erhält diese Sicherheit aber, als Tobi mit einem kräftigen Ruck einen augenscheinlich gut gelegten Friend zieht und dieses Experiment - auch zu meiner Überraschung - sogleich nochmal wiederholt. Die anschließende Praxisübung "kreativer Standplatzbau" wird von der dröhnenden Geräuschkulisse eines knapp an uns vorbeiziehenden Gewitters untermalt. Mehr als ein paar Tropfen bekommen wir aber nicht ab. Nach der obligatorischen Kaffeepause an der Strips klettern verlegen wir das Geschehen zum Hundskopf. Hier klettern wir einige der mit Bohrhaken gesicherten Routen und legen zur Übung zusätzlich mobile Sicherungen. Währenddessen werden wir permanent von Regen- und Gewitterwolken umkreist, es bleibt aber bis zum Abend trocken.
Zum Samstag hin ist eine leichte Stabilisierung angekündigt, die Gewitter sollen tendenziell etwas weniger werden und sich auch erst später am Tag bilden. Daher planen wir die Besteigung des Totenkirchls über den Führerweg. Diese Route bietet fast alles, was angehende Alpinkletterer brauchen brauchen können: eine komplexe Wegführung, viel guten Fels für alpine Klettertechniken (Kamine, Verschneidungen, Rinnen, Risse) bei geringen Schwierigkeiten, einen tollen Klettergipfel und einen anspruchsvollen Abstieg mit vielen Abseilstellen und leichten Abkletterstellen, die auch mal seilfrei bewältigt werden müssen.
"Hmmm - ziemlich viele Wolken, was machen wir?" fragen mich meine Kursteilnehmer am Frühstückstisch beim Blick auf die nebelumwaberten Nordabbrüche des Totenkirchls. Ich schmeiße mein Smartphone an. Die Wetterkarten von Kachelmannwetter lassen ab Mittag einige Schauerzellen über den Kaiser ziehen - Gewitter wären aber demnach nicht so wahrscheinlich. "Wir probieren es - umdrehen können wir immer noch" entgegne ich. Der Eindruck, den meine Teilnehmer in den letzten beiden Tagen hinterlassen haben war sehr gut, sowohl klettertechnisch als auch im Umgang mit Seil und Sicherungsmitteln. Die am wenigsten fitte Teilnehmerin ist noch von einer Skiverletzung gehandicaped und möchte einen Ruhetag einlegen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die verbliebenen fünf Teilnehmer den Weg auch bei suboptimalen Bedingungen bewältigen könnten.
So läuft der Aufstieg dann wie am Schnürchen. Die Zweierseilschaft übernimmt die Führung, dahinter folgt die Dreierseilschaft. Ich gehe seilfrei, um beide Seilschaften betreuen zu können, falls nötig. Die Schwierigkeiten übersteigen nirgends den 3. Grad, meistens klettert man in leichtem Fels im 1. und 2. Grad. Allerdings sind einige Kamine und Rinnen dabei, die eine andere Klettertechnik erfordern als man sie in Klettergärten und -hallen trainiert. Ein gefundenes Fressen für die Ulli, die das Klettern im Elbsandsteingebirge gelernt hat. Elegant stemmt sie sich in Richtung Kirchl-Gipfel, aber auch für die vier Männer ohne Sachsen-Bonus stellen Führerkamin, Schmidtrinne und Leuchsrinne keine ernsthaften Probleme dar. Am Gipfelkreuz angelangt, dürfen wir noch einen letzten Tiefblick zur Griesneralm versenken, bevor uns die Wolken einhüllen. Während die anderen brotzeiteln richte ich in unguter Vorausahnung der Dinge, die auf uns zukommen werden, schnell zwei Abseilstellen bis in die Scharte unter dem Gipfelaufbau ein, wo sich ein guter Unterstand unter einem Überhang befindet.
Noch während des Abseilens beginnt es zu regnen. Julian seilt sich als letzter ab, ich klettere schnell ab um nicht nass zu werden. Fast zeitgleich erreichen wir den geschützten Platz, wo die anderen bereits auf uns warten. Es folgt ein 45-minütiger Platzregen vom Feinsten. Beeindruckt beobachten wir, wie sich in der gegenüberliegenden Gamshalt-Ostwand ein gewaltiger Wasserfall bildet. Als es aufhört und sogar wieder die Sonne zum Vorschein kommt, setzen wir den Abstieg fort und wandern gemütlich über die 3. Terrasse hinab zu den nächsten Abseil- und Abkletterstellen. Beim Abklettern stört die Nässe vergleichsweise wenig, dafür nerven die bald klitschnassen Seile, die von den Abseilgeräten ausgewrungen werden, so dass sich die braune Brühe über unsere Hosen ergießt. Ganz toll: von oben trocken, dafür unten nass. Aber während wir in der späten Nachmittagssonne zum Stripsenjochhaus zurückwandern, trocknet alles wieder picobello und es bleibt nur ein kreatives Batikmuster auf den Hosen.
Nach diesem erfolg- und erlebnisreichen Tag ist bei meinen Leuten (zumindest bei der Mehrheit) der Dampf raus. Weitere alpine Vorschläge wie Goinger Halt Nordgrat werden überwiegend abgelehnt. Gemütliches Mehrseillängenklettern am nahen Wildangerwandl hingegen stößt auf breite Zustimmung. Allerdings wäre dafür ein weiteres Doppelseil von Vorteil. Ein solches hab ich noch unten im Auto liegen, daher beginnt mein Tag mit einer kurzen Konditionseinheit. Mein Zeitplan, mich in eineinviertel Stunden mit den anderen an der Wand zu treffen, scheitert an einer übersehenen Kleinigkeit: An einem sonnigen Sonntagmorgen steigen Hinz und Kunz von der Griesneralm auf und man trifft jede Menge Bekannte, so dass sich die kurzen Ratschpausen ordentlich aufsummieren. Zum Klettertag gibts dann nicht mehr viel zu berichten. Alle Teilnehmer klettern zwei bis drei der kurzen Routen im rechten Wandteil und versuchen dem Steinschlag der zahlreichen anderen Seilschaften zu entgehen. Am Abstieg machen wir noch einen Zwischenstopp am Ausbildungsblock oberhalb der Griesneralm. So ganz wollte ich den Damen und Herren die Prusiktechnik nicht ersparen, um die sie wegen des gesperrten Schulungsraumes bisher herumgekommen waren. Auch ein paar andere seiltechnische Manöver können wir hier gut besprechen, bevor wir den Kurs am Gasthaus abschließen.