Nordstau-Alternativprogramm im Sarcatal
Sie sollte das Skitouren-Highlight dieses Winters werden - eine fünftägige Skidurchquerung in den östlichen Hohen Tauern. Bereits eine Woche vor dem Termin verdüsterten sich jedoch die Aussichten dafür - zuerst ein massiver Warmlufteinbruch mit starkem Regen bis über 2000 m, danach eine Kaltfront mit einem halben Meter Neuschnee - gepaart mit starkem Wind und über mehrere Tage schlechtem Wetter uns fehlender Sicht. Bei Lawinenwarnstufe 3 für uns keine Option für eine Hochgebirgsdurchquerung. Wir sind sechs Personen und haben uns alle 4-5 Tage frei genommen - was tun? Plan C ist dann wie fast immer "Arco" - bzw. das angrenzende Sarcatal. Bei Nordstau hat uns die Region mit ihren genialen Felswänden schon öfter den Urlaub gerettet und das wird sie auch diesmal tun. Nur Sissy ist zu wenig Kletterin, um von dem Plan überzeugt zu sein - daher sind wir nur noch zu fünft.
Am Freitagmorgen wird über Booking.com noch schnell eine Ferienwohnung in Dro gebucht, von der aus man zu Fuß problemlos alle Routen an der genialen Coste dell'Anglone und wenn man wollte auch an der Cime alle Coste erreichen kann. Es gäbe die Option mit dem Zug und Bus dorthin zu fahren - aber letztendlich siegt in der 5er Gruppe wieder einmal die Macht der Gewohnheit und wir quetschen uns in Ullis Auto, mit dem wir gut eine Stunde schneller in Dro sind und womit wir pro Person etwas günstiger wegkommen, da kurzfristig keine Super-Sparpreise mehr erhältlich sind. Vor Ort steht das Auto dann aber vier Tage ungenutzt am Parkplatz.
Esclusivamente per tutti
Am Ankunftstag gibt es zuerst einen Mittags-Kaffee in der Bar am Dorfplatz von Dro und wir wälzen den Kletterführer. Die Zeit bis Sonnenuntergang sollte leicht für eine nicht allzu lange Route ausreichen und ich schlage "Esclusivamente per tutti" vor. 11 Seillängen, mit Bohrhaken vollabgesichert und kurze Stellen im 6. Grad, meist aber im 5. Schwierigkeitsgrad und leichter. Noch etwas desorientiert ratschen wir uns entlang des Wanderwegs in Richtung Norden. "Bei einer Abzweigung mit Schranke zweigt der Weg ab" sagt der Kletterführer. "Wir sind schon ganz schon weit, oder?" frage ich. "Der Gelbe Überhang da auf dem Wandbild, das könnte das da sein" meint Uli und zeigt auf einen Felsbereich über uns. Kurz Diskussion, ob wir schon zu weit sind. "Schranke hab ich keine gesehen" meint Stefan. Also weiter. Nach gerade mal 100 m kommt dann die Schranke. "Na also". Ohne weitere Verzögerungen kommen wir zu unseren Einstiegen. Ulli und Stefan wollen zwei kürzere Routen mit je vier Seillängen an der benachbarten "Parete die Sherwood" klettern. Kathrin, Schorsch und ich gönnen uns die längere Route.
"Ladies first" ist die Devise und Kathrin steigt forsch in den ersten Wandteil ein. Zügig klettert sie auch die eng eingebohrte zweite Seillänge, die an einer kurzen Stelle exaktes Treten und einen etwas kräftigeren Piazzug verlang. Dann folgt wieder mäßig schwieriges und teils auch botanisches und dreckiges "Krabbelgelände". Etwa bei der Hälfte machen wir Führungswechsel und ich steigen weiter. Nette Platten wechseln mit einer ordentlich brüchigen und dreckigen Seillänge. Die versprochene "herrliche Verschneidung" (ca. 6 oder 6+) in der vorletzten Seillänge ist tatsächlich sehr schön, aber viel kürzer als das Topo vermuten lässt, so dass ich die letzte Seillänge gleich noch dranhänge. Gerade mal 50 m sind diese beiden Abschlusslängen zusammen - wer es mir gleichtun möchte, sollte aber oben raus nur wenige Haken einhängen und diese stark verlängern, sonst dürfte es heftigen Seilzug geben. Der Abstieg folgt dann anfangs einem durchaus alpinem Steiglein immer entlang der oberen Kante der Wand, bis man auf den Sentiero dell'Anglone trifft - einem gut ausgebauten, mit Drahtseilen gesicherten Wanderweg, der zurück ins Tal führt. Fazit unseres Saisonauftakts: Teilweise nette Tour, aber auch immer wieder viel Dreck und Bruch - da geht noch mehr!
Heli + Sguarauunda
"Herrliche, sehr angenehme Tour, sehr gut abgesichert" lobt Diego Filippi in seinem Kletterführer Hohe Wände im Sarcatal die Route "Heli". Nach dem vielen Schrofen- und Botanikgelände des Vortags suchen wir heute etwas kompakteren Fels und vermuten diesen in dem gewaltigen Plattenschuss der "Ca' del Liscio". Die Schwierigkeiten bis 6c sollten bei der laut Kletterführer "sehr guten Absicherung, nahe Hakenabstände" machbar sein, zwei A0-Stellen wollen wir uns näher ansehen, manchmal geht ja doch etwas frei. Heute beginne ich mit dem Vorstieg. Die erste Seillänge ist noch staubig, in der zweiten Seillänge wird es besser. Aber auch hier muss man den ein oder anderen Griff an der diagonalen Plattenkante "ausgraben" und der Sand rieselt dann genau auf die Reibungstritte. Trotzdem schöne Seillänge. Jetzt stehe ich unter der 70 Grad geneigten Raufasertapete der 3. Seillänge. Die angebliche 6c-Stelle entpuppt sich eher als 6a+ oder 6b, bietet aber tatsächlich herrliche Kletterei an feinststrukuriertem Fels. Danach folgt die erste A0-Stelle, an der ich etwas herumbastle, um sie frei zu klettern. Der Fels ist super rutschig, aber machbar ist es, jedoch deutlich schwerer als die Passage unten. Je nach Körpergröße dürfte es etwa 6c+ oder 7a sein. Es folgt nochmal eine tolle 6a-Länge (lt. Führer 6b), dann steht die nächste A0-Stelle an. Wie man hier den zweiten Haken ohne Clipstick bzw. verlängerter Expresschlinge A0 erreichen soll ist mir jedoch ein Rätsel. Ich bastle mir eine Trittschlinge und komme gerade so ran, wäre also mit A1 zu bewerten. Nachdem auch die nächste Seillänge (5c) nur noch "so mittel" und zum Abschluss dreckig und brüchig ist, würde ich beim nächsten Mal den Ausstieg über die Route "Sguarauunda" umgehen.
"Sguarauunda" bildet nun auch unseren Weiterweg. Man könnte auch über "Heli" wieder zum Wandfuß abseilen, aber das angesagte Regenwetter scheint sich noch etwas Zeit zu lassen, so dass wir nach oben aus der Wand aussteigen wollen. Nach dem eher durchwachsenen Eindruck von "Heli" mit dreckigem Anfang und Ende und der unnötigen A1-Stelle folgt nun noch eine herrliche Genusskletterei mit alpinem Charakter. Die Schlüsselseillänge hat es allerdings in sich. Während die angebliche 6c Stelle am Anfang ins Bewertungsschema der "Heli" passt und (rechts herum) höchstens 6a+ ist, folgt zum Ende ein Überhang dessen 6b+ ich als relativ "ehrlich" einstufen würde, zumindest wenn man onsight länger nach den nicht auf Anhieb ersichtlichen guten Griffen sucht. Vor der letzten schwierigeren Seillänge angekommen beginnt es zu tröpfeln und ohne Blick ins Topo klettere ich gerade weiter einer Bohrhaken und Schlingenreihe nach. "Für 6a ist das aber ganz schön schwierig" bemerke ich und Ulli schaut vorsichtshalber nochmal ins Topo. "Das müsste ein Quergang nach rechts sein" antwortet sie und jetzt sehe ich auch die goldenen Bohrhaken auf gelbem Fels, die nach rechts ziehen. Also wieder fünf Meter abklettern und schnell den tollen, griffigen Quergang absolvieren. Die letzte Seillänge ist dann nur noch Formsache, zieht aber schön entlang der luftigen Plattenkante hinauf in den Wald. Bei leichtem Getröpfel steigen wir zufrieden über den bereits bekannten "Sentiero dell'Anglone" hinab zu unserer Ferienwohnung in Dro.
Il Canto dell'Indria
Am Montag ist bestes Wetter angesagt, wir haben einen vollen Tag Zeit und die Vorbelastung der bisherigen Routen hält sich auch in Grenzen. Mich lacht die Linie und das Topos von "Il Canto dell'Indria" an, auch wenn die Begeisterung im Filippi-Führer etwas gedämpft erscheint (nur vier von fünf Sternen), Schorsch und Stefan sind mit von der Partie und ich überlasse Schorsch im ersten, augenscheinlich noch etwas moderateren Teil den Vorstieg. Die Route wurde von Heinz Grill, Franz Heiß und Sigrid Königseder erstbegangen, weshalb wir mit einer logischen Linie und gut geputztem Fels rechnen. Das bestätigt sich sofort im Wandvorbau, der auf den ersten Blick etwas botanisch erscheint, was sich bei der Kletterei aber in keinster Weise bemerkbar macht. Dafür klettern wir in den ersten Seillängen mehr horizontal als Vertical. Unsere beiden Damen sind in der benachbarten Route "Scalette dell'Indria" unterwegs und in kurzer Zeit 50m höher als wir. Aber die Kletterei ist toll: raue, griffige Platten, kurze Überhänge an Henkeln und gut ausgetretene Pfade über die Grasbänder führen unter eine steile rote Verschneidung.
Zeit für einen Führungswechsel. In dieser Seillänge steckt nur ein Bohrhaken und Schorschs Ersatzhüfte zickt etwas bei überhängender Spreizkletterei. Die Absicherung der Verschneidung stellt allerdings kein großes Problem dar. Der Riss im Verschneidungsgrund schluckt Klemmkeile und Cams mindestens so gerne wie meine Kinder Süßigkeiten. Danach geht es steil und im Zickzack weiter - eine Seillänge besser als die andere. Immer wieder ist genau dort ein Henkel wo er sein muss. Immer luftiger wird die Kletterei, der Fels ist perfekt. Eine überhängende Schuppe führt hinauf zur gewaltigen Pfeilerplatte, die schon vom Tal aus sichtbar ist. Mit einem eigentlich nicht schwierigen (ca. 5a oder 5b) Quergang geht es waagrecht bei etwas größerem Hakenabstand hinaus an die äußerst luftige Kante zum Standplatz. Hier pfeift uns der ansonsten nur mäßig starke Nordföhn ordentlich um die Ohren. Jetzt ist die Zeit für die wärmere Jacke. Auch die beiden letzten Seillängen sind nochmal extrem ausgesetzt und bieten anspruchsvolle, aber tolle Kletterei. Für den Abstieg wählen wir zu Abwechlsung mal den etwas längeren Weg über den "Sentiero Scaloni" hinab nach Maso Lizzone und zurück nach Dro. Unser Tagesfazit: Eine geniale 15-Seillängen-Tour mit insgesamt etwas anspruchsvollerer Absicherung und deutlich realistischeren Schwierigkeitsangaben als die Sportkletterrouten der beiden Vortage.
Cuore d'Oro
Am Dienstag ist bereits wieder das Ende unseres Kletterurlaubs angesagt. Die Fingerkuppen und Zehen sind zwar inzwischen etwas vorgeschädigt, aber trotzdem wollen wir den Tag und das gute Wetter noch nutzen. Mit Ulli und Kathrin steige ich in die Route "Cuore d'Oro" ein, die direkt vom Sentiero Scaloni aus startet und oben wieder an diesem Wanderweg endet, also in Sachen Zu- und Abstieg die optimale Kletterausbeute bietet. Dazwischen liegen 11 Seillängen mit Schwierigkeiten bis etwa 6+. Stil und Absicherung dürften in etwa unserem gestrigen Weg entsprechen, die Schwierigkeiten sollten aber weniger anhaltend sein. Heute beginnt Ulli mit dem Vorstieg. In der ersten Seillänge lässt sie sich von den eher spärlichen Sicherungen nicht beirren und ist bald am ersten Stand. In der zweiten Seillänge verschwindet sie ums Eck, dann dauert es lange, bis wir nachkommen können. Hinter der Kante wird klar wieso. Sie hat sich verstiegen und ist an einem Verhauer-/Abseilschlingerl gelandet. Der eigentliche Standplatz wäre 10 m weiter rechts. Wir machen unterhalb an einer Sanduhr kurz Zwischenstand, sie klettert wieder ab und quert zum richtigen Standplatz. Danach folgen zwei schöne, Quergangsseillängen und ein 6er-Dachl, für das sie mehrere Anläufe benötigt. Das hat zur Folge, dass ihr für die folgende Schlüsselseillänge ein wenig das Selbstvertrauen abhanden kommt und ich den Vorstieg übernehme.
Ein toller Quergang führt nun unter einen weiteren Überhang, der mit 6+ im Topo steht. Relativ hoch oben steckt dort ein Haken. Ich lasse mich von Chalkspuren zu früh zum Hochklettern verleiten und muss nochmal abklettern. In einer Rechtsschleife erreiche ich den Haken dann problemlos. Aber für den Zug übers Dach setzte ich auch dreimal an. Mehrmals ziehe ich hinauf zur Kante und taste oberhalb erfolglos nach Griffen, steige wieder zwei Schritte zurück, schüttle und probiere es erneut. Irgendwann ertaste ich weit rechts den passenden Seitgriff und kann dann hochziehen zu guten Henkeln. Der Rest der Tour ist nur noch Formsache. Es folgen mehrere schöne Plattenlängen. Die vorletzte Seillängen soll nochmal ein 6er sein, entpuppt sich gegenüber den schwierigen Einzelstellen im unteren Teil aber als deutlich dankbarer. Insgesamt stellt sich "Cuore d'Oro" als eine tolle Genusskletterei mit einer relativ anspruchsvollen Schlüsselstelle dar, die ich vom Gesamtanspruch aber deutlich geringer einstufen würde als unsere Tour vom Vortag.
Nach insgesamt vier Klettertagen und etwa 50 Seillängen sind wir mehr als zufrieden mit der Ausbeute. Nebenbei haben wir natürlich das Wetter am Alpenhauptkamm verfolgt, genauso wie die Lawinenlageberichte. Auch im Nachhinein hat sich die Entscheidung als richtig erwiesen, die Tauerndurchquerung sein zu lassen. Nur am Dienstag wären Wetter und Verhältnisse für eine solche Unternehmung möglicherweise angemessen gewesen, wobei aber die Lawinenlage immer noch sehr defensives Verhalten erfordert hätte. Im Sarcatal hingegen hatten wir jeden Tag beste Kletterbedingungen, außer am Sonntag hatten wir die komplette Wand für uns alleine und Pizza und Eis schmecken hier sowieso am Besten!