Klettern auf der Meilerhütte
Als Tourenwart biete ich für die Sektion Bayerland ab und zu Gemeinschaftstouren an. Nachdem die Alte Meilerhütte (der im Sommer normal abgeschlossene Winterraum der Meilerhütte) der Sektion Bayerland gehört, gibt es eine Absprache mit der Sektion Garmisch und der Hüttenwirtin, dass wir für Gruppenveranstaltungen diesen auch im Sommer nutzen können. Nach etwas Hin- und Her bekomme ich von Marisa das OK für diesen Plan und wir machen uns auf den Weg ins Wetterstein.
Die Anreise
Am Freitag vormitttag hab ich noch viel zu tun. Mein letztes Projekt für den Panico-Verlag, der Kletterführer Hochkönig von Rudi Kühberger, ist gerade in die Druckerei gegangen und es stehen noch einige Kleinigkeiten an. Um 12.15 Uhr schwinge ich mich aufs Fahrrad rund strample zum Bahnhof. 12.32 fährt der Zug nach Kufstein. Vor lauter Hektik hab ich wieder mal nicht an die lästige Atemmaske gedacht. In den Tiefen des Rucksacks findet sich im Bodensatz nur eine alte angeschimmelte FFP2-Maske. Hilft ja nix, bis Kufstein werd ich damit schon kommen. In Österreich brauchen wir sie zum Glück nicht mehr. Im Zug wartet bereits Stefan. "Brauchst eine frische Maske?" fragt er mit Kennerblick. Er gibt mir ein frisches Exemplar und ich kann meine Schimmelzucht entsorgen. Die weitere Fahrt durch Tirol läuft perfekt. In Innsbruck steigen wir um und es bleibt sogar noch Zeit für ein kurzes Mittagessen. Von Seefeld fährt der Anschlussbus nach Oberleutasch, der Ausgangspunkt des kürzesten Zustiegs von Unterleutasch wäre mit einer halben Stunde Wartezeit verbunden. Macht nix, der Weg über den Söllerpass klingt sowieso spannender und dürfte höchstens 20-30 Minuten länger sein.
Der Hüttenzustieg
Im Zug hatte uns ein Einheimische noch vor dem Söllerpass gewarnt: "Da ist es extrem heiß, dort muss man ganz früh dran sein". Das sind wir nicht. Um 15 Uhr marschieren wir in Leutasch-Gasse los. Gegenüber der Hitze von Innsbruck herrschen hier schon deutlich angenehmere Temperaturen. Im schattigen Wald steigen wir zügig hinauf zu den Wiesen am Puitegg, wo - schon fast kitschig - vor der imposanten Südwand des Öfelekopfs eine Herde Pferde grast. Wir bezweifeln, ob die Hitzewarnung so verallgemeinert werden kann. Der Aufstieg ist volle Ostseite, ab dem Morgen steht hier die Sonne voll drauf. Jetzt am Nachmittag hängen Quellwolken über dem Berg, es bläst die Thermik und der strahlende Himmelskörper ist auch bereits weit ums Eck gebogen. Wer nicht schon vor Sonnenaufgang losgeht, wird hier am Vormittag oft mehr schwitzen als wir am späten Nachmittag. Trotzdem treibt uns der steile Aufstieg den Schweiß auf die Stirn. Das Gelände ist abwechslungsreich, aber nicht ganz trivial. Trittsicher und schwindelfrei sollte man für die Route unbedingt sein. Dafür verschenkt man keine Zeit mit flachem Gehatsche, der Steig zieht kompromisslos direkt hinauf zum Pass. Nach 2,5 Stunden ist der Übergang erreicht und der Blick aufs Leutascher Platt sowie auf den Musterstein und die Meilerhütte wird frei. In leichtem Auf- und Ab gehts gemütlich rüber zur Hütte, wo wir rechtzeitig vor dem Abendessen eintreffen, nachdem wochentags bereits um 18.30 Uhr die Küche schließt.
Während wir noch beim Essen sind, tauchen Steffi und Emmi auf. Die beiden Mädels sind bereits früher angereist und nach dem Hüttenzustieg gleich noch klettern gegangen. Und weil es drüben am Bayerländerturm die Neutour "Panzerknacker (8-)" gibt, haben sie sich heute die zweite Begehung davon abgeholt. Gratulation! Kurz darauf kommt auch noch Michi heraufgeschnauft und komplettiert das Team für den Abend. Nach dem Essen ziehen wir aus der lauten Gaststube in den ruhigen Winterraum um und besprechen die Planung für den nächsten Tag. Bevor wir unsere wohl verdiente Nachtruhe angehen, zieht uns der geniale Sonnenuntergang jedoch nochmal vor das Haus.
Samstag: Musterstein-Südwand "Kubanek-Spindler"
Unser Ziel ist der Musterstein. Die Mädels wollen die Route "Morgenrot" klettern - eine Freikletterroute aus den 1980er Jahren im unteren sechsten Grad. Sie hat gebohrte Standplätze und auf insgesamt 11 Seillängen vier oder fünf Bohrhaken. Mit Michi und Stefan möchte ich in die "Kubanek-Spindler" - einem Klassiker mit drei schwierigeren Seillängen bis zum sechsten Grad und relativ viel leichterem Gelände. Unsere zwei jungen Damen frühstücken im Winterraum und sind bereits unterwegs als wir unser Hüttenfrühstück beenden. Kurz darauf marschieren auch wir los. "Kletterschuhe könnte ich vielleicht brauchen" meint Stefan nach etwa 10 Minuten Abstieg in Richtung Südwand. Er macht kehrt und steigt nochmal zur Hütte zurück. Ich nutze die Wartezeit und jogge über den Wanderweg in Richtung Söllerpass, um ein paar Wandfotos von den Südwänden zu schießen. Am Wandfuß in der Nähe unseres Einstiegs treffen wir uns wieder.
Wir sehen die Mädels etwas verwundert unterhalb des "Schmidbands" klettern. Ein kurzer Vergleich mit dem Wandbild bestätigt meine Vermutung: "Ihr seid viel zu weit links" rufe ich ihnen zu. Daraufhin seilen sie wieder ab und finden dann auch ihre Route. Wir hingegen müssen erst einmal seilfrei über das teils sehr schotterige "Schmidband" in die Wand klettern. Anfangs sind immer wieder Stellen im 2. und 3. Grad dabei, nach oben hin wird es dann aber leichter und nach etwa einer halben Stunde stehen wir vor den zwei Bohrhaken des Einstiegs. Nachdem wir eine Dreierseilschaft bilden, übernehme ich den Vorstieg aller Seillängen. Es stecken zwar nur vereinzelte Bohrhaken, aber die sind immer sehr überlegt gesetzt und genau an der richtigen Stelle. In den schwierigen Passagen gibt es dazu noch einiger alte Normalhaken. So schleppe ich meine Friends und Stopper großteils ungenutzt durch die Wand. Die Routen am Musterstein haben den Ruf, recht anspruchsvoll und hart bewertet zu sein. Das lässt sich von dieser Tour weniger behaupten. Mit Ausnahme der rustikalen Schrofen im Zustieg und im Ausstieg zum Gipfel handelt es sich um ein relativ gut abgesicherte alpine Genusskletterei in gutem Fels. Ein erfahrener Alpinkletterer wird mit dem vorhandenen Material meist auskommen, wer möchte kann aber meistens ganz gut mit Keilen und vor allem Friends (Gr. 0.75 bis 2) ergänzen. Die Schwierigkeitsbewertung mit glatt 6 aus dem Panico-Führer ist recht human, zumindest für die Quergangsseillänge. Die anderen Seillängen passen schon eher, bzw. vor allem die leichten Längen sind dann doch eher streng bewertet.
Nach sieben Seillängen ist der Spaß bereits wieder vorbei und wir stehen auf dem Schotterband der "Hannemann-Route". Wir packen das Seil weg und kraxeln die letzten 100 Höhenmeter ausgesetzt aber leicht (1-2, kurze Stellen 2-3) zum Gipfel. Der Musterstein ist allerdings bekannt für seinen anspruchsvollen Abstieg. Der Westgrat ist luftig, lang und im ersten Drittel des Wegs vom Gipfel fast durchgehend Klettergelände mit Stellen im 2. bis 3. Schwierigkeitsgrad. Michi war erst vor kurzem auf dem Gipfel und legt ein ordentliches Tempo vor. Flott kraxeln wir über die vielen Türme nach Westen. Ab den Törlspitzen geht die Kletterei in einen schottrigen Pfad über und nach gut einer Stunde sind wir wieder an der Hütte, rechtzeitig zu Kaffee und Kuchen. Dort erwarten uns bereits Inge und Robert, die am heutigen Samstag vormittags aufgestiegen sind. Die beiden Mädels treffen nach ihrer etwas längeren Tour und dem Verhauer auch noch rechtzeitig vor dem Abendessen ein.
Sonntag: Linke Musterstein-Südwand "ViaMarionundJoëlle"
Am Sonntag ziehen wir in drei Zweierseilschaften los. Der frischgebackene Familienvater Michi steigt bereits am Vormittag ab und fährt heim zu Frau und Kind. Der Rest der Truppe begibt sich an die linke Südwand des Mustersteins. Dort sind die Routen etwas kürzer und man hat zu dem den Vorteil, dass auch Zu- und Abstieg kürzer sind. Nachdem wir ja am Nachmittag auch noch einen längeren Rückweg ins Tal und eine womöglich aufwändigere Heimreise vor uns haben, sollte der Zeitaufwand für die Kletterei nicht zu groß sein.
Stefan und ich haben uns die Route "ViaMarionundJoëlle" ausgesucht. Laut Kletterführer eine "abwechslungsreiche Genusskletterei" im Schwierigkeitsgrad 5 und 5- allerdings mit nur wenigen Haken. Robert und Inge wollen sich an unsere Fersen heften, die Mädels versuchen weiter rechts die Route "Dagehtsaa" zu finden. Das Finden stellt auch mich in der ersten Seillänge gleich vor Probleme. Tatsächlich gehe ich dem für diese Passage wenig hilfreichen Topo auf den Leim. Mit Köpfel-Zwischenstand und nochmaligem Wandstudium finden wir dann aber den gebohrten Stand nach der ersten Seillänge. Im weiteren Verlauf passt dann das Topo gut und die Wegfindung ist kein Problem mehr. Etwas überrascht sind wir hingegen vom geforderten Anspruch. Die "Genusskletterei im 4. bis 5. Grad" entpuppt sich als gar nicht so einfache und teils doch recht anhaltend schwere Kletterei. Sie fühlt sich stellenweise ähnlich schwer anfühlt wie die Kubanek-Spindler vom Vortag, nur mit weniger Haken. Allerdings ist der Fels wirklich klasse und nachdem wir im Überschlag klettern und ich nicht alles vorsteigen muss, ist es in Summe für mich eine relativ gechillte Unternehmung. Die Tour endet am Grat just dort, wo sich die letzten Kletterpassagen des Westgrats befinden, so sind wir auch schnell wieder an der Hütte.
Abstieg nach Garmisch
Für den Rückweg ins Tal haben sich Stefan und ich etwas besonderes ausgedacht: Nachdem wir mit Öffis unterwegs sind und nicht drauf angewiesen sind zu einem bestimmten Ausgangspunkt zurückzukehren, wollen wir zur Partnachklamm und nach Garmisch absteigen. Der Weg hinab zum Schachen ist dann auch wirklich traumhaft. Der geniale Tiefblick ins Oberreintal entlockt mir unwillkürlich ein "Hei mi leckst am Arsch" und auch das restliche Wettersteingebirge liegt vor uns wie auf dem Präsentierteller. Durch die Postkartenidylle der Schachenalm wandern wir weiter in Richtung Wettersteinalm und zweigen bald nach links auf den Kälbersteig ab. Dieser führt oft durch weitgehend unberührte Bergwälder hinab zur Partnachklamm. Beim Verlassen des Waldes erwartet uns dann allerdings der Kulturschock. Hunderte Menschen tummeln sich hier am und im Wasser. Es ist ja nicht so, dass wir nicht gewusst hätten, dass die Partnachklamm ein Touristenmagnet ist. Aber wenn man auf einem kleinen Waldweg fast eine Stunde lang keiner Menschenseele begegnet ist, dann trifft einen trotzdem fast der Schlag wenn man hier um die Ecke biegt.
"Huift ja nix" - wir stürzen uns ins Getümmel und lösen brav zwei Erwachsenen-Tickets zu je 6 Euro für die Partnachklamm. Vermutlich wäre man mit Kinder-Tickets genauso durch die Automatik-Drehkreuze gekommen, aber wir wollen dem notleidenen Bergdorf ja keine Einnahmen unterschlagen. Unterwegs müssen wir leider das ein oder andere, mühsam gestellte Instagram-Motiv vereiteln. Wir haben auf dem schmalen Klamm-Weg einfach keine Lust jedesmal zu warten, bis endlich die letzte Haarsträhne sitzt. Rücksichtslos marschieren wir durchs Bild und sind dann auch bald wieder draußen aus der Schlucht. Der langweiligste Abschnitt dieses sehr abwechslungsreichen, rund dreistündigen Abstiegs von der Meilerhütte bis Garmisch sind dann die letzten 10 Minuten entlang der Teerstraße bis zur Bushaltestelle am Skistadion.
Die Heimreise
Unser Timing könnte nicht besser sein, obwohl wir vorab keinen Fahrplan hatten. Genau zwei Minuten warten wir und schon fährt der stündlich verkehrende Bus zum Bahnhof vor. Leider ist vor einigen Wochen zwischen Garmisch und Oberau ein Zug vom Gleis gefallen, weshalb die Strecke jetzt gesperrt und ein Schienenersatzverkehr eingerichtet wurde. Am Bahnhof steht der SEV-Bus schon bereit und kann durchaus als "gut besetzt" bezeichnet werden. Aber für die paar Minuten bis Oberau kann man schon mal etwas zusammenrücken. In Oberau erwartet uns dann doch noch eine Kostprobe dessen, wieso gerne auf die Bahn geschimpft wird. So gut es bis hierher gelaufen ist, so skurril geht's weiter. Der überlange SEV-Bus spuckt etwas 100 Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz aus, die nun von Polizisten und Bahnsicherheitspersonal empfangen werden. "Die Bahnstrecke bis Murnau ist seit heute ebenfalls gesperrt, die Weiterfahrt bis Murnau erfolgt mit Taxis" erfahren wir. "Wieso kann der Bus nicht einfach bis Murnau weiterfahren?" frage ich. "Das fragen wir uns auch schon die ganze Zeit" antwortet eine sichtlich genervte bis verzweifelte Polizistin. Vermutlich hat die Bahn die Busse nur für die Strecke gebucht und zeitlich geplant und hat einfach nicht rechtzeitig die Streckenverlängerung gemanaged. Die beiden bereitstehenden Taxis sind sofort voll, ein weiterer SEV-Bus bringt nochmal einen Schwung Menschen aus Garmisch, darunter überwiegend Touristen, oft aus dem Ausland, viele Asiaten, die noch ratloser aussehen wie wir. "Welcome to Bavaria"! In Deutschland murksten 12 Jahre lang ununterbrochen die Traktorfahrer der CSU im Verkehrsministerium herum, jetzt ist ein Autolobbyist der FDP zuständig. Wer sich ein Beispiel dieser grottenschlechten, rückwärtsgewandten Verkehrspolitik ansehen möchte, fährt ins Werdenfelser Land: Sinnlose Geldverschwendung für aufwändige Straßenbauten und Tunnels, die nur noch mehr Autos anziehen werden und damit die Staus vielleicht ein wenig verlagern, in Summe aber vergrößern werden. Dafür gibts dann hoffnungslos veraltetete und stellenweise sogar lebensgefährliche Schienen und keinen funktionierenden ÖPNV mehr...
Nach 10 Minuten kommt ein einzelnes Taxi - es hat 6 Plätze. Die Meute stürmt drauf los, die Polizisten versuchen das Chaos zu minimieren und Schlägereien zu verhindern. Langsam sickert durch, dass die Taxis im üblichen Sonntag-Nachmittags-Stau feststecken und wahrscheinlich einfach viel zu wenig Taxis für viel zu viele Menschen zur Verfügung stehen. Die Situation würde wohl spätestens mit dem nächsten ankommenden SEV-Bus brenzlig werden. Zum Glück hat dann doch noch jemand mit Entscheidungsbefugnis einen Sinn für Pragmatismus. "Achtung, Achtung - eine Planänderung: Dieser Bus fährt jetzt doch weiter nach Murnau" ruft eine Bahnmitarbeiterin und zeigt auf unseren immer noch herumstehenden SEV-Bus. Alle stürmen wieder zum Bus, wir fahren weiter bis Murnau und erwischen sogar noch den Zug nach München. Na - sowas erlebst halt nicht wenn du im Auto im Stau stehst ;-).