Flucht vor dem österlichen Nordstau
Klettern zu Ostern bei Arco - und trotzdem fast allein
"Polare Kaltluft fließt zu den Alpen, im Norden stauen sich die Wolken, die Schneefallgrenze sinkt bis in die Täler" verkündet der Wetterbericht. Klarer Fall: Ostern steht vor der Türe. Bereits in der Grundschule haben wir gelernt: Wenn es auf der einen Seite der Alpen Stauniederschläge gibt, bläst auf der anderen Seite der Föhn. Also ist klar, die vier Tage die wir Zeit haben werden wir im Süden verbringen. Nachdem es ein Familienurlaub werden soll, scheiden diesmal Skitouren aus, abgesehend davon dass im Süden heuer ohnehin kein Schnee liegt. Also überlegen wir, wohin wir zum Sportklettern fahren sollen. "Arco?" - "Nein bloß nicht, dort ist sicher die Hölle los" sind wir uns einig. "Wie wärs mit Vinschgau?" schlagen Susi und Stefan vor, dort waren sie schon zweimal. Leider sind alle Campingplätze restlos ausgebucht.
"Hmmm - vielleicht doch eher Richtung Arco, aber doch nicht ganz Arco?" Schlage ich vor. In der Gardaseeregion gibt es eine ganz Reihe an Agritoursmus-Betrieben. Bei einigen kann man sogar zelten und zwar viel netter und angenehmer als bei den oft unverschämten Campingplätzen in Arco. Und dem Schicki-Micki-Trubel des Ortes an einem solchen Wochenende kommt man auch aus. Gesagt getan - gleich der erste Versuch ein Treffer, Platz ist reserviert.
Karfreitag um halb 8 setzen wir die Kinder ins Auto und los gehts. Das trübe Wetter lichtet sich bereits bei Innsbruck und ein strahlend sonniger Tag steht bevor. Mit einigen kurzen Staus kommen wir gut durch. Die SMS von Susi "Meidet die Ausfahrt Rovereto-Süd" beherzigen wir und fahren in Rovereto Nord aus, was goldrichtig war. Die anderen stehen fast eine Stunde im Tunnel der Umfahrung von Rovereto
Ankommen, Zelte aufbauen, Mittagessen. Wohin zum Klettern? Das Klettergebiet Ronzo wäre nicht weit zu fahren und sollte für einen halben Tag genug hergeben. Das letzte mal dass ich dort war ist bereits 10 Jahre her. Und so siehts auch aus. Einer der beiden Zustiegswege ist komplett mit Dornensträuchern zugewuchert, auch sonst erobert sich die Natur den Wandfuß Zug um Zug zurück. Die drei Stunden, die wir Zeit haben, können wir uns aber gut beschäftigen. Selbst Fiona ist heute top motiviert und hängt sich in einen 5er rein, das müssen wir ausnutzen. Für mich sind es die ersten Klettermeter seit dem Jahresabschluss am Saubichl, nachdem ich die Kletterhallenbesuche im Winter konsequent vermieden habe. Entsprechend anstrengend fühlt sich schon eine kurze 6a+ an. Trotz fünf Kindern die beschäftigt werden wollen kann jeder von uns Erwachsenen 2-3 kurze Touren klettern. Und alles im T-Shirt. Ganz o.k. für einen Anreisetag.
Ostersamstag: Heute sollten zumindest noch kaum Italiener am Start sein, aber nachdem wir gehört haben, dass in Arco sämtliche Campingplätze ausgebucht sind, rechnen wir auch an den abgelegeneren Felsen mit einigem Andrang. Daher fahren wir durch Rovereto hindurch hinauf nach Pian di Levro, wo es einen schönen Felsen gibt, der eine gute Auswahl an Routen bietet. Im Kletterführer kommt das Gebiet relativ schlecht weg (Einstufung "ok" - was eigentlich die zweitschlechteste Kategorie ist). Der Fels ist aber echt klasse und wir sind anfangs komplett alleine, nur eine weitere Seilschaft kommt irgendwann daher.
Der Wandfuß ist nicht super geräumig und so müssen wir die kleineren Kids etwas mehr im Auge behalten als sonst, weshalb oft nur eine Seilschaft am Klettern ist. Bald verlagern Stefan und ich den Spielplatz ein wenig nach unten in den Wald.
Nachdem die Mädels sich einigermaßen zufrieden geklettert haben und wir wieder an der Reihe wären, zieht eine dunkle Gewitterwolke heran. Daher fahren Stefan, Hans und ich am Nachmittag nach Nomesino, während unsere Familien die große Cappuccino und Eis-Runde durch Rovereto drehen. Für Stefan ist das Gebiet das Paradies für mich mit meiner Skitourenform eher ein Waterloo. Nachdem der Kletterführer im Auto liegt steige ich nach der Aufwärmroute auf Verdacht in eine Linie ein. Dabei zerstöre ich meine Unterarme so dermaßen, dass ich im zweiten Durchgang nur noch dank viel Seilzug und im Toprope raufkomme. Immer wieder erstaunlich, welch riesige Henkel man irgendwann nicht mehr festhalten kann, wenn der Ofen mal aus ist. Immerhin soll die Tour 7a sein, was am zweiten Klettertag der Saison noch zu schwer sein darf. Selbst hier in Nomesino - vor einiger Zeit noch eines der absoluten Modegebiete von Arco - sind außer uns genau drei Seilschaften. Wo sind sie denn alle? Vermutlich sitzen die alle in Laghel und schauen dem Großmeister bei seiner ersten Arco-9b zu. Uns solls recht sein.
Ostersonntag: Wir bleiben dabei - Arco kann uns für diesen Urlaub gestohlen bleiben. Allerdings werden wir frecher in der Tourenplanung und fahren in ein "mainstreamigeres" Gebiet. Noriglio bietet eine ausreichend große Anzahl an leichteren Routen, um Gebieten wie Nago, Belvedere oder Regina del Lago Konkurrenz zu machen, ist aber etwas weiter vom Epizentrum entfernt. Und tatsächlich: Kaum haben wir uns am Zustieg halbwegs orientiert, kommt der erste Großtrupp von Landsleuten und marschiert in Richtung Fels. Aber das Gebiet soll ja groß sein. Allerdings muss zuerst der Osterhase seine alljährliche Hauptaufgabe erfüllen. Die Kinder sind begeistert. Die Steinmauer neben dem Zustiegs-Weglein glitzert nur so vor Bonbons und Schoko-Ostereiern.
Am Fels angekommen dann die Enttäuschung: Mehr als die Hälfte des Gebiets ist gesperrt. "Proprieta privata" steht auf den Schildern. Rot-weiße Bänder verkünden unmissverständlich: "Bis hierher und nicht weiter!" Zwei Spaziergänger mit Hund beobachten uns neugierig, ob wir uns auch daran halten. Nunja - kein Problem, der geöffnete Sektor schaut eigentlich sehr gut aus. Es ist genau eine Seilschaft an der Wand, da sich die erwähnte Gruppe kurz erfolglos an der ersten 6a versucht und dann geschlagen das Feld verläßt und sich vermutlich doch noch in Belvedere in die Schlange einreiht. Für mich ist heute sowieso Pause angesagt, mein komplettes Fahrgestell schmerzt noch vom gestrigen Nomesino-Fiasko. Also erstmal Kinderdienst und sichern. Die langen Routen sehen aber schon sehr fein aus. "Ein wenig Durchblutung der Muskulatur kann nix schaden" denke ich mir und steige doch in eine 30 m lange 6a ein. Für den Grad fühlt sie sich schon recht anstrengend an - ist aber so genial, dass ich danach gleich noch eine zweite klettere. Dann muss es aber gut sein für einen Ruhetag. Und der jüngere Teil unserer Reisegruppe nörgelt schon "Wann fahren wir endlich Eis essen?"
Schon geht der Kurzurlaub wieder dem Ende entgegen. Am Heimreisetag ist eigentlich nochmal gutes Wetter angesagt, allerdings mit Wolken am Nachmittag und einige Grad kühler. Wir kurven daher die lange Strecke nach Serrada hinauf. Für Stefan gibt's hier zwar leider keine schwierigen Routen (die wenigen im 7. Grad sind durch künstliche Griffe versaut), aber sehr viele super Linien im Bereich 6a bis 6c+ und der Wandfuß ist fast perfekt für die Kinder. Hier ist das erste Mal etwas mehr Betrieb. Bereits bei unserem letzten Besuch war uns aufgefallen, dass der Fels vor allem bei den Einheimischen beliebt ist.
Leider spielt heute das Wetter nicht mehr ganz mit. So lange die Sonne scheint ist es angenehm warm, aber immer wieder ziehen die Wolken vor den gelben Planet und dann wird es hier auf 1200 m schon sehr kühl. Die Schneefallgrenze liegt laut Wetterbericht bei 1500 m. So kommen die dicken Jacken doch noch zum Einsatz. Wäre ja auch schade wenn wir sie umsonst mitgenommen hätten.
Bis auf Stefan können sich heute alle halbwegs austoben und bei meiner letzten 6b fühlt es sich schon fast wieder nach Klettern an. Den gelungenen Urlaubsabschluss bildet auf der Heimfahrt die Pizzeria "Lauben" in Neumarkt. Geschlagene 30 Minuten warten wir auf einen freien Tisch, was sich aber voll rentiert, da die Pizzas wirklich perfekt sind. Auf der Autobahn verkündet die Anzeigentafel "Schnee zwischen Sterzing und Brenner". Tatsächlich - ab Gossensass schneits dicke Flocken und oben am Brenner bleibt das Zeug schon liegen. Die restliche Heimfahrt regnet es zwar dann wieder aber am nächsten Tag ist es sogar in Rosenheim weiß. Vielleicht doch wieder Skitouren die nächsten Tage?