Klettern und Feiern am Kleinen Deutschen Eck
Dem Endloswinter ein Schnippchen schlagen
Im heurigen Endloswinter fällt die Entscheidung zwischen Skitourengehen und Klettern selbst gegen Ende Mai hin noch schwer. Während der Lukas im Sellrain noch fast täglich im Schnee unterwegs ist, steht uns der Sinn inzwischen mehrheitlich nach trockenem Fels. Das ist aber gar nicht so einfach, hat es doch letzten Mittwoch wieder bis 700 m herab geschneit. Die Idee, mit Ski zur Torsäule aufzusteigen und dort zu klettern, haben wir daher für diesen Samstag gestrichen, da dort sicher noch Schnee in den Felsen liegt und jetzt an den ersten wärmeren Tagen in Form von Schmelzwasser über die Routen rinnt. Zudem könnte der kräftige Föhnwind auf 2500 m Meereshöhe mehr als ungemütlich sein. Daher beschließen wir, erst einmal mit Sportklettern in den Tallagen zu beginnen.
Aufwärmen am Katastrophenfels
Letztendlich landen wir am Katastrophenfels in Schneizlreuth - einem Klettergarten, der seine Bezeichnung den dortigen Routennamen verdankt, die zum Beispiel CO2-Crack, Wastland, Ozonlöcher oder Acid-Rain lauten. Im Frühjahr 2018 jedoch hat das ein etwa 12 m hoher Felsblock wörtlich genommen und sich selbst zerstört. Ein paar (ohnehin unlohnende) Routen wie "WAA", "Hells Bells" und "Gaumeiler" sind dem Felssturz zum Opfer gefallen.
Vormittags gegen 9 Uhr sind wir die Ersten am Fels. Der linke Teil des Hauptsektors liegt in der prallen Vormittagssonne. Eine große Buche, die hier für Schatten sorgte, ist vor kurzem umgestürzt. Das ist unser Glück, denn dieser Wandbereich ist dadurch bereits komplett trocken, während die meisten anderen Routen noch nass sind. Es wird ein chilliger Klettervormittag mit ein paar netten Routen. "Ich hab Hunger. Ich schlag vor wir gehen zum Bus runter und kochen uns einen Topf Nudeln" meint unser Sunnyboy Konrad mit ungewöhnlich bedeckter Stimmung. Alles klar. Dann scheint er wirklich Hunger zu haben. Nachdem ohnehin nicht mehr viele trockene Routen für uns übrig sind, beschließen wir auch gleich, die Sachen zu packen und das Gebiet zu wechseln.
Der Parkplatz nahe der Straßenkreuzung in Schneizlreuth liegt fast unmittelbar am "Kleinen Deutschen Eck", einer viel befahrenen Verbindungsstraße von Salzburg nach Lofer bzw. weiter nach Westösterreich. Für unser Mittagspäuschen fehlt uns angesichts vorbeiröhrender Motorräder eindeutig die Beschaulichkeit. Wir beschließen daher gleich an unseren Zielort zum Pillersee zu fahren und und dort einen Stellplatz zu suchen.
Mittagessen am See und Klettern im "Esszimmer"
"Mei is des schee" grinst Jule beim Blick auf den Pillersee, als sie die Gelberüben für unser Mittagessen zerkleinert. Wir befinden uns hier im Zentrum der "Schneekatastrophe" vom Januar, als sich die Zeitungen und vor allem diverse Onlinepublikationen gegenseitig mit ihren Meldungen zu den durchaus beachtlichen Neuschneemengen übertrumpften. An der Messstation Hochfilzen, einige Kilometer südlich, wurden vom 1. bis 15. Januar 2019 beeindruckende 4,50 Meter Neuschneesumme verzeichnet - hier am Pillersee türmten sich die Schneemassen während des gesamten Hochwinters ebenfalls meterhoch. Fast in jeder Rinne an den Talflanken sind noch Zeugen abgegangener Lawinen zu sehen.
Mit vollen Bäuchen steigen wir später am Nachmittag vom Parkplatz am Gasthof Adolari in knapp 10 Minunten hinauf zu den dahinter liegenden Dolomitfelsen mit dem Klettergarten Adolari. Wir sind das erste mal hier und sind gespannt was uns erwartet, da die Felsen vom Tal aus eher unscheinbar aussehen und einen eher splittrigen Eindruck erwecken. Die Kletterei überrascht uns dann aber doch positiv. Gut griffig führen die steilen Routen im Sektor "Esszimmer" etwa 20 Meter hinauf bis zum Umlenker. Die Absicherung ist perfekt, die Routendichte allerdings etwas übertrieben. Bei fast allen Routen benützt man immer wieder die Griffe und Tritte der Nachbarrouten. Der sehr steile, abschüssige Wandfuß wurde aufwändig und professionell präpariert, damit man sich bequem dort aufhalten kann. Climbers Paradise und dem Tom vom Adolariwirt sei Dank!
Adi's Kletterertreffen
Noch während wir unsere Sachen zusammenpacken dröhnen dumpfe Bässe vom Gasthaus herauf. "Es geht schon los" mahne ich zur Eile. Adi Stocker hat anläßlich der Präsentation der 3. Auflage seines Kletterführers Steinplatte am Gasthaus Adolari zu einem großen Klettertreffen eingeladen. Einer der Höhepunkte des Abends soll die Rockband "Plastic Surgery Disaster" von Thomas Huber sein, die sich gerade zum Soundcheck warmspielt. Wir steigen ab und werfen uns ins Getümmel. Geschätzte 200 Leute bevölkern den Vorplatz des Gasthauses zwischen Feuerschalen, Getränkestand, Musikbühne und einer breiten Plakatwand auf der Adi sämtliche Wandfotos seines Führers in Großformat mit eingezeichneten Routenlinien abgedruckt hat. Es wird ein toller Abend mit vielen alten und neuen Bekannten, langen Gesprächen, guter Musik und viel Bier (aber im Gegensatz zu ähnlichen Festen in der Vergangenheit nur für vergleichsweise Wenige zu viel). An dieser Stelle nochmal ein ganz großes Danke an den Adi für die famose Organisation und die Einladung!
Als sich gegen halb zwei langsam die Reihen zu lichten beginnen, verziehe ich mich auch in mein Zelt neben dem Parkplatz - damit mein Schlafdefizit gegenüber meinen beiden bereits vor Mitternacht verschwundenen Kletterkollegen nicht zu groß wird. Die Sonne steht schon recht hoch, als wir beim Frühstück am sonnigen Parkplatz noch diskutieren, wie wir den Tag verbringen. "Wir fahren zum Urlkopf" beschließen Josef Brüderl und Fritz Amann die beiden Haupterschließer dieses außergewöhnlich guten Mehr-Seillängen-Klettergebiets auf der Loferer Alm. Da klinken wir uns spontan ein - Ronni Nordmann vom Panico Verlag und seine Seilpartnerin Iris sind ebenfalls dabei.
Vorfreude am Urlkopf
Relativ spät am Vormittag sind wir dann am Parkplatz der Seilbahn in Lofer. Hier teilen wir uns auf zwei Autos auf und investieren je 10 Euro in den Mautautomaten. Dann gehts die schmale, kurvenreiche Bergstraße hinauf zum Gasthaus Schönblick. Hier herrscht erwartungsgemäß noch der Winter. Der erste Teil der Straße ist geräumt, danach stapfen wir auf der 1-2m hohen, gut gesetzten Frühjahrsschneedecke zur Abbruchkante der Felswand. Ich richte die Abseilpiste übers Graue Buch mit unseren zwei Doppelseilen ein und zügig sind alle sieben Personen unten am weitgehend schneefreien Wandfuß. Für Jule und Konrad ist es der erste Ausflug zum Urlkopf und sie sind begeistert vom Ambiente und der Felsqualität.
Bis auf die üblichen Wasserstreifen (Graues Buch, Mädels) sind die meisten Routen weitgehend trocken. Wir haben die freie Auswahl. Nachdem es schon relativ spät am Tag ist und für nachmittags Gewitter angesagt sind, wollen wir als Dreierseilschaft eine eher kürzere Tour machen. Weil ich heute meinen Helm vergessen habe, darf ich vorsteigen. Die erste der fünf Seillängen langen Kletterroute "Vorfreude" lacht mich an. Recht anhaltend im 7. Grad, mit einigen etwas schwierigeren Stellen, schleiche ich über die steile Platte und einige knifflige Wandkletterstellen hinauf zum Stand. Das ist genau meine Kletterei - in der es kaum zum Tragen kommt, dass ich den letzten Winter das Hallentraining ausfallen ließ. Komplett im Onsight klappt der Durchstieg zwar nicht, aber ich bin sehr zufrieden. Meine beiden Nachsteiger müssen sich ordentlich anstrengen, sind aber genauso angetan von der Route wie ich. Nur die beiden letzten Seillängen fallen dann deutlich in der Qualität ab. Daher hänge ich sie zusammen und steige gleich in einem Rutsch die 50 Meter hinauf aufs Plateau.
Bald kommen auch die beiden anderen Seilschaften zum Rucksackdepot. Angesichts der aufziehenden dunklen Wolken machen wir uns auf den Rückweg zum Parkplatz und fahren ins Tal. Der schmucke Dorfkern von Lofer ist jetzt, nach der Skisaison, ziemlich verwaist. Das angesteuerte Cafe ist geschlossen. Voller Vorfreude auf Kaffee und Kuchen spazieren wir durch den Ort und finden doch noch ein geöffnetes Cafe. Das Angebot ist allerdings überschaubar: "Was habt ihr denn für Kuchen" frägt Konrad. "Kuacha hob i leider koan" kommt die enttäuschende Antwort des freundlichen Wirts. "Dann nemm I en Cappuccino" schwäbelt Ronni. "I hob olles außer Cappuccino" entschuldigt sich der Wirt. "De do draußen woidn olle an Cappuccino und jetzt job i koa Milch mehr" ergänzt er und deutet auf eine große Gruppe E-Biker, die draußen auf dem Platz vor dem Cafe alle Tische belagern. Dann gibts eben Espresso oder Apfelschorle. Wir Kletterer sind halt doch ein genügsames Völkchen und beim Rückblick auf die vergangenen zwei Tage lassen wir uns von einer solchen Kleinigkeit die Stimmung nicht verderben.