Familien-Transalp ins Kletterparadies
Eigentlich ist mal wieder alles ganz anders geplant. Unsere diesjährige Familienradltour sollte nach Berchtesgaden zu Freunden führen und auf anderem Weg wieder zurück. Unsere angepeilten Gastgebern sind dann aber in besagtem Zeitraum ausgeflogen und so ist eine Alternative gefordert. Da wir ab dem 14.8. mit zwei anderen Familien in Mori in der Nähe von Arco zum Klettern verabredet sind, bleibt uns nur eine knappe Woche Zeit, was mir für eine eigenständige Radlaktion zu aufwändig erscheint.
"Dann fahren wir eben mit dem Radl nach Mori!" schlag ich vor. Ein verständnisloser Blick von Sabine. "Das ist doch viel zu weit" meint sie, gemünzt auf unsere beiden Mädels im Alter von sechs und neun Jahren. "Dann müssen wir die Strecke eben an die Kinder anpassen!" Wenige Stunden später steht der Masterplan.
Am Montag morgen radeln wir zum Rosenheimer Bahnhof. Am Vorabend stand ich hier am Schalter einer barschen Dame gegenüber. "Ich hätte gerne Tickets für zwei Erwachsene und zwei Kinder sowie vier Fahrräder nach Landeck - morgen früh." bitte ich höflich. "Da sind sie ja früh dran!" herrschte sie mich an. "Wir fahren nur Nahverkehrszüge" entgegne ich ruhig. "Na gut" grummelte sie schon weniger unfreundlich und stellte mir die gewünschten Fahrkarten und internationalen Fahrradtickets aus. Heute ist der Zug nach Kufstein fast leer. Kein einziges weiteres Fahrrad ist im Abteil, so dass unsere vier Bikes + Anhänger problemlos Platz finden. Das gleiche Bild in den Zügen nach Innsbruck und Landeck, wo wir entspannt gegen Mittag eintreffen.
1. Etappe: Landeck - Pfunds
Am Bahnhof Landeck-Zams geht es dann endgültig los. Bei 30 Grad strampeln wir in Richtung Landeck-Ortsmitte - und verfehlen gleich mal den Innradweg, der hier unklar ausgeschildert ist. "Da müsst ihr dort drüben rechts fahren!" weist uns eine offensichtlich einheimische Passantin den Weg. Ihr Vorschlag ist zwar der direkteste, führt aber etwa einen Kilometer an der viel befahrenen Bundesstraße ohne Radweg entlang. "Na toll, das geht ja schon gut los" denke ich mir, als die Schwerlaster knapp an uns und unseren Kindern vorbeibrettern. In Landeck finden wir die Beschilderung des Innradwegs wieder und nun scheint es zu laufen.
Auf einem schmalen Sträßchen radeln wir rechts des Inns aufwärts bis zu einem Durchfahrt-Verboten-Schild. Daneben ist ein riesiges gelbes Baustellen-Schild, auf dem viel Text steht unter anderem "ausgenommen von dem Verbot sind Radfahrende....". Für uns das Zeichen weiterzufahren. Kurz darauf kommen immer wieder Autos entgegen, teils in hoher Geschwindigkeit. Irgendwann hält einer an und beschimpft uns, dass die Straße für uns gesperrt sei und jeweils viertelstündlich eine Einbahnregelung herrscht. Wir machen erstmal Mittagspause und warten, bis die ersten Fahrzeuge aus unserer Richtung kommen, dann gehts weiter. Am Ende der Straße steht nochmal das gleiche Schild und wir lesen es mehrmals vollständig. Allerdings ist der Text so bescheuert formuliert, dass er jede gewünschte Interpretation zuläßt, ob die Einbahnregelung für die vielen geschilderten Ausnahmen gilt oder nicht.
Die weitere Route bis Pfunds verläuft nun ohne ernsthafte Zwischenfälle - wenn man mal davon absieht, dass uns der klingelnde Eiswagen einfach ignoriert und weiterfährt. Das Eis gibts daher erst in Pfunds und kurz darauf erreichen wir den tollen Campingplatz bei der Kajetansbrücke. Es donnert bereits, als ich das Zelt aufbaue und die drei Damen noch eine Runde im Badesee drehen. Wenig später legt das Unwetter los. Es schüttet mehr als eine Stunde aus vollem Rohr, während wir in einem der leeren Partyzelte gemütlich kochen.
2. Etappe: Pfunds - Reschenpass - Mals
Am Dienstag steht die Königsetappe auf dem Programm. Zum Einen führt sie durch drei Länder und zum anderen muss der Reschenpass bewältigt werden. Insgesamt sind nicht nur 50 Kilometer, sondern auch fast 800 Höhenmeter bergauf zu bewältigen. Das wird sowohl für unsere beiden Kinder, als auch für uns mit dem schweren Gepäck eine Herausforderung. Das erste mal wird mir das klar, als ich den kurzen steilen Anstieg von der Burg Altfinstermünz hinauf zur Bundesstraße schieben muss. Mit fast 50 kg Zusatzgewicht (Fahrradanhänger, zwei Packtaschen, Rucksack) komme ich kurzzeitig an meine Grenze. Die Mädels hingegen radeln beinahe den kompletten Anstieg hinauf. Dafür rollt es anschließend gemütlich abwärts bis zur Schweizer Grenzstation Martina.
Jetzt wird's ernst. Insgesamt 11 Kehren und knapp 400 Höhenmeter sind zu bewältigen. Erstaunlich zügig kurbeln die Mädels neben uns her. Ich schlage nach der Hälfte der Kehren eine Gummibärenpause vor. Fiona ist sofort einverstanden. Die sechsjährige Amira aber schimpft: "Ich will jetzt nicht stehenbleiben! Ich fahre weiter!" Sabine hängt sich an ihr Hinterrad, aber am letzten Steilstück kann sie ihr nicht mehr folgen und der kleine Pimpf radelt alleine die Passstraße hinauf bis zur Norbertshöhe, wo sie mit stolzem Grinsen die Mama und etwas später den Papa mit der großen Schwester erwartet. Das härteste Stück ist damit geschafft und wir machen erstmal Mittagspause. Am Weiterweg zum Reschenpass wechseln sich nach einer kurzen Abfahrt moderate Anstiege und Flachpassagen ab. Nur das allerletzte Stück - wenn man denkt, man ist eigentlich schon oben - das zieht sich nochmal kurz.
Dann aber wird der Blick frei auf den Reschensee und auf den Ortler und es geht endgültig bergab. Ganz wichtig ist aber der erste Stop. Direkt am Touristenkiosk neben dem Kirchturm im See bekommen unsere Passradler das versprochene Eis. Die Kugeln sind zwar winzig und teuer, aber es schmeckt und erfüllt seinen Zweck. Die Abfahrt ist für erste schon wieder vorbei. Bretteben geht es am riesigen Stausee entlang, dann rollen wir von der Staumauer hinab nach St. Valentin auf der Haide. Erinnerungen kommen auf an den legendären Januar 2018, als ich hier mit dem Heli gelandet bin. Das Westufer des Haidersees beschert uns nochmal zwei kurze, lästige Anstiege und dann beginnt die rasante Abfahrt entlang der jungen Etsch bis nach Schleis, wo die Bremsbeläge und der Grip meiner Reifen aufgrund des schweren Anhängers und einsetzenden leichten Regens gefordert werden.
"I hab leider eigentlich gar koan Platz mehr" sagt der Mann bei der Anmeldung des Campingplatzes in Mals. "Wir haben aber nur ein kleines Zelt und vier Fahrräder" entgegne ich, in der Hoffnung unseren doch schon recht erschöpften Kindern keine weitere Strecke mehr aufhalsen zu müssen. "Dann könnt ihr hier diesen Notplatz haben". Direkt hinter dem Waschhaus sind nochmal ein paar Quadratmeter Wiese. Für uns reichen sie locker aus - eine Ermäßigung zu den sehr teuren Preisen gibts allerdings dafür nicht (im Nachhinein finden wir heraus, dass der Campingplatz im Park in Glurns nur fünf Minuten weiter, dafür schöner und viel günstiger gewesen wäre).
3. Etappe: Mals - Meran - Lana
Der Standortvorteil des Campingplatzes offenbart sich am nächsten Tag, als wir gerade losfahren wollen. "Verdammt, ich hab einen Platten" rufe ich. Bei näherer Begutachtung stelle ich fest, dass die Abnutzung des ohnehin nicht mehr neuen Mantels am Hinterrad dramatisch fortgeschritten ist - womöglich durch die gestrige Abfahrt, wo das Rad mehrmals kurz blockiert hat. Direkt neben dem Zeltplatz ist ein Bike-Verleih, der auch Ersatzteile verkauft. So organisiere ich einen neuen Mantel und flicke das Loch im Schlauch. Fast eine Stunde später als geplant starten wir in den Tag.
Eigentlich soll es heute nur bergab gehen und so hoffen wir bis kurz vor Bozen zu kommen. Neben dem späten Start taucht aber bald das nächste Problem auf. Kurz vor Tschengls ist der Radweg gesperrt. Die Umleitung führt steil hinauf bis ins Dorf und jenseits wieder hinab. Das kostet nicht nur Kraft, sondern sorgt auch für Unmut. Deshalb nutzen wir die erste Gelegenheit für eine Mittagspause. Weiter rollt es dann wieder sehr gemütlich entlang der Etsch bergab. Wir müssen weder viel Bremsen, noch treten. Bei Naturns gibt es das obligatorische Eis und dann folgt die finale Abfahrt nach Meran. In der Nachmittagshitze suchen wir hier eine Einkaufsmöglichkeit. Schon etwas k.o. radeln anschließend weiter durch die Obstplantagen nach Lana, wo der Camping Arquin unser Tagesziel darstellt.
4. Etappe: Lana - Bozen - Kartitsch
Damit liegt der landschaftlich schönste Teil hinter uns. Am Donnerstag folgen wir der Etsch nach Bozen, wo der Radweg wieder einmal gesperrt ist und uns die Umleitung in Richtung Innenstadt schickt, wo wir aber nicht hinwollen. Wir folgen verschiedenen Radwegen, die ungefähr talabwärts führen könnten und landen schließlich irgendwo in den Apfelplantagen von Laifers. "Weißt du wie wir am besten wieder zum Etschradweg kommen?" frage ich einen vorbeikommenden Radfahrer. Zuerst möchte er es mir erklären, dann sagt er: "Fahr mir nach". Er ist Erntehelfer, der aus Pakistan stammt, aber seine Eltern verloren hat und bereits mit 11 Jahren nach Europa gekommen ist. Jetzt in der Hochsaison arbeitet er täglich 10 Stunden für 7,50 Euro die Stunde in den Apfelplantagen. Er hat gerade Mittagspause und freut sich über die Abwechslung.
Eine Mittagspause könnten wir auch bald gebrauchen. Nachdem wir wieder auf der richtigen Route sind, breiten wir unter dem ersten schattigen Baum unsere Decke aus. Es hilft aber nix. Irgendwann müssen wir weiterfahren und schon nach kurzer Zeit führt der Radweg direkt am Schwimmbad von Neumarkt vorbei. Das ist ein Wink des Schicksals. Ich fürchte zwar einen sehr langen Abschlusstag, aber letztendlich ist es die perfekte Wendung. Die Kinder können sich hier den Nachmittag über austoben und entspannen und ich richte am nahegelegenen Campingplatz Obstgarten unterhalb von Kartitsch unser Nachtlager ein.
5. Etappe: Kartitsch - Trento - Rovereto - Mori
Dafür erwarten uns am Freitag morgen zwei ausgeruhte und top motivierte Kinder. Die insgesamt noch 80 Kilometer bis Mori vergehen wie im Flug. Südtirol liegt bald hinter uns. Unser zweites Frühstück mit Cappuccino und Hörnchen kurz nach St. Michele nehmen wir bereits in Trentino zu uns. In Trento erwischt uns ein kräftiges Gewitter, das wir unter dem Vordach eines wegen Ferragosto geschlossenen Lokals verbringen und für eine üppige Mittagspause nutzen. Die restlichen 35 Kilometer bis Mori fahren wir mit Ausnahme einer Gummibärchenpause nonstop durch. Im Eispalazzo Bologna in Mori warten dann zwei große Eisbecher auf die Kinder und zwei Aperol Spritz auf die Eltern. Noch vor Ankunft der beiden anderen Familien, die mit den Autos kommen, sind wir am Campingplatz bei Paolo und stellen die Zelte auf.
Zweiter Urlaubsteil: Sportklettern bei Arco
Am Samstag beginnt dann der zweite Teil des Urlaubs. Mit Stefan und Hans fahre ich zum Klettergebiet La Campagna oberhalb von Rovereto, währen die Frauen und Kinder einen Ruhetag am Pool des Campingplatzes machen. Nach fünf Tagen Radlfahren fühlt es sich eigenartig an, wieder zu klettern. Aber am Ende des Tages kommt das Bewegunggefühl langsam zurück. Dafür ist die Kraft weg. In den nächsten Tagen besuchen wir die Klettergebiete Pian di Levro, Nago und Ampola. Zufällig treffen wir an einem Tag unsere Freundin Kathrin in einer Eisdiele, die ihren Urlaub in der Nähe von Trento verbringt. Sie erzählt uns von einem netten Ausflugsziel zwischen Rovereto und Trento wo sie einen Wegweiser zu einem Klettergarten entdeckt hat. Das Internet weiß noch nichts darüber - ein spannendes Ziel also für unseren letzten Klettertag.
Nachdem wir den ganzen Krempel und alle 11 Personen in Bus und Caddy verstaut haben, fahren wir nach Romagnano, wo ein hübscher Wasserfall über eine Felswand herabfällt und unterhalb ein perfekter Wasserspielplatz auf die Kinder wartet. Mehrere nagelneue Wegweiser markieren die hier abzweigenden Pfade zu den Klettersektoren 1-6. Wir staunen. Sollte das wirklich ein so großes, völlig unbekanntes Gebiet sein? Die gesammelten Erkenntnisse der Erkundungstrupps fallen dann eher ernüchternd aus. Die Sektoren 1+2 bestehen im Grunde aus wenigen Routen, die zudem meist altes, verrostetes Hakenmaterial aufweisen. In den weiteren Wandteilen entdecken wir nur vereinzelte (teils mehrere Seillängen lange) Routen. Am interessantesten erscheint uns der Sektor 3, der frisch saniert und etwas systematischer erschlossen ist. Wir klettern einige wirklich schöne, oft lange athletische Routen in senkrechtem bis leicht überhängendem Dolomit im Schwierigkeitsbereich 7 bis 8. Insgesamt schlummert hier viel Potenzial und generell könnte der Fels etwas mehr Kletterer vertragen, um sauberer zu werden. Trotzdem ein lohnender Abstecher zu einer am nachmittag schattigen Wand. Auf der Heimfahrt stoppen wir noch zum Abendessen bei Trento, bevor sich auch dieses Abenteuer auf sein Ende zubewegt.
Persönlicher CO2-Fußabdruck Mobilität für alle 9 Tage zusammen: 21,01 kg