By fair means back to the roots

Der Hausberg meiner Jugend

Ein herrlicher Herbstmorgen. Ich schwinge mich aufs Radl und strample direkt an der Haustüre los. Das Ziel rückt auch sogleich in den Blick: der Wendelstein. Das ist der markanteste Gipfel im westlichen Landkreis Rosenheim und durch seinen Sendeturm am Gipfel auch für blutige alpine Laien erkennbar. Ich war gerade mal 7 oder 8 Jahre alt, als ein Onkel mich das erste Mal auf diesen Berg mitnahm. Was mir am meisten in Erinnerung blieb: Ich musste damals um 4 Uhr morgens aufstehen. Und nein: mein Onkel ist kein Schweizer!

Wenige Jahre später, so mit 10 oder 11 Jahren, machte ich mich dann auf eigene Faust dorthin auf den Weg. Zusammen mit zwei gleichaltrigen Freunden ging es ebenfalls mit dem Radl von Berbling die 10 Kilometer nach Bad Feilnbach und durch das Jenbachtal hinauf. Im Anschluß drehten wir die "Kleine Runde" (Mitterberg, Rampoldplatte, Hochsalwand, Wendelstein). In den Jahren darauf kamen immer mehr Gipfel dazu, bis wir mit 12 oder 13 Jahren dann das komplette Rondell abklapperten und an einem Tag insgesamt 12 Gipelkreuzen zwischen Mitterberg, Kasererwand, Wendelstein und Breitenstein anschlagen konnten.

Durch die Erschließung mit Seilbahn und Zahnradbahn, das Hotel und diverse Aufbauten am Gipfel ist der Wendelstein landschaftlich ziemlich entstellt und eigentlich als bergsteigerisches Ziel komplett verbrannt. Trotzdem hab ich ihn heute bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr als Ziel auserkoren. Im vergangenen Ausnahmewinter musste ich eine inakzeptable Lücke in meinem Tourenbuch schließen und endlich mal über die Nordflanke mit Ski abfahren. Und heute möchte ich die Kletterrouten der Westwand für die neue Auflage meines Kletterführers recherchieren, wofür ich die bewährte und umweltfreundliche Methode der Fahrradanreise wähle.

By fair means

Auch aus sportlicher Sicht ist es deutlich interessanter, mit dem Radl anzureisen, als sich faul mit dem Auto in die Höhe karren zu lassen (by fair means). Als ich Ulli am Vortag die Idee präsentiert habe, war sie noch etwas zögerlich, hat aber letztendlich dann doch zugestimmt, weil es ja auch nicht sonderlich weit ist. Wir treffen uns gegen 8 Uhr in Kleinholzhausen. Sie ist von Nussdorf herübergeradelt. Im Gegensatz zu mir kam der Erler Wind bei ihr von hinten, weshalb sie etwas früher dran ist. Gemütlich kurbeln wir über Altofing ins Jenbachtal und die altbekannte Bergstraße hinauf. Ständig überholen uns Autos, es herrscht ein gewaltiger Auftrieb. Um dreiviertel 9 Uhr vormittags ist der große Parkplatz am Ende der allgemein befahrbaren Straße bereits bis auf den letzten Platz gefüllt. Wir haben keine Parkplatzprobleme und können auch noch ein gutes Stück weiterfahren, wo wir  auf der flachen Straße die - jetzt wandernden - Autofahrer wieder überholen. An der Wirtsalm und der Winterstube gehts vorbei, dann noch ein kurzes Steilstück und wir sind am Radlabstellplatz. Ein wunderschöner Wanderweg bringt uns in moderater Steilheit durch den Hochwald hinauf an den Fuß des Wendelsteins. Schneller als erwartet haben wir das Rucksackdepot erreicht und machen uns fertig zum Klettern.

Kaltstart in die Westwand

Durch gefühlt senkrechtes Gras steigen wir zum Einstieg unserer Route "Schee is do herobn". Zum Glück ist alles trocken, bei Nässe könnte es ziemlich gefährlich sein.  "Fängst Du an?" frag ich Ulli. "Aahh die erste Seillänge mag ich immer gar nicht, so mit Kaltstart!" mault sie mit Blick auf die schattige Wand. "Dann kriegst du die Schlüsselseillänge" antworte ich grinsend. "Ok,  überredet". Zügig klettert sie los. An der ersten Steilstelle aber heißt es erstmal "zu!" und sie schüttelt sich die Finger warm. Am nächsten Wulst tüftelt sie ewig herum und zieht dann letztendlich einmal an der Schlinge, um zum nächsten Griff zu kommen. "Stand" heißt es dann. Kurz darauf bin ich im Nachstieg. An Ulli's A0 Stelle stutze ich kurz. Das Topo gibt hier 6+ aus - dafür ist es aber überraschend grifflos, bzw. ein Henkel ist zwar in Sichtweite, ich erreiche ihn aber nur mit einem dynamischen Längenzug. Für mich schon sehr hart für 6+, für Ulli so aber nicht möglich.

 

Dankbare Schlüsselseillänge

Die nächste Seillänge soll laut Topo 7+/8- sein - also deutlich härter. Vom Stand aus schauts nicht danach aus: senkrechter, rauer und gut strukturierter Fels. Sehr viele Bohrhaken sorgen dafür, dass man hier auch "nullern" könnte, aber man hat eigentlich immer gute Griffe. Nur einmal muss man gut einen Meter rechts der Haken klettern, wo riesen Henkel in leichteres Gelände leiten. Kein einziger Zug auf diesen 10 Metern war so hart wie der in der ersten Seillänge, allerdings war es dann doch deutlich anhaltender und pumpiger. Mit 7+ finde ich die Passage aber immer noch sehr dankbar. Wie auch immer - in jedem Fall ist es eine super Seillänge in tollem Fels.

Weiter geht es mit einer perfekten Rißverschneidung in wiederum extrem rauem Fels. Ulli steigt in sächsischer Manier vor - statt auszuspreizen robbt sie im Riss hinauf - ohne Rücksicht aufs Material. Danach müssen wir uns das erste Mal für den Weiterweg entschheiden. Links gäbe es noch eine steile Seillänge, die aber kurz vor dem Ende der Wand endet. Da wir noch zum Gipfel wollen, klettern wir rechts weiter. Eine kurze Platte führt uns hinauf auf eine bequemes Band mit dem Wandbuch. Nur wenige Eintragungen gab es in den letzten zwei Jahren, davor war die Route aber anscheinend ganz gut besucht.

Ausstieg über Superdiagonale

Am Wandbuch müssen wir uns erneut entscheiden. Die Originallinie ginge nun gerade hinauf zum Ausstieg. Wir queren aber noch eine Seillänge nach rechts bis fast zur "Alten West". Hier führt die "Superdiagnoale" in zwei weiteren Seillängen zum Ausstieg. Ulli steigt die angebliche 5er Länge vor - wobei uns die Bewertung dafür recht hart vorkommt und man auch 6- ausgeben könnte. Kurz vor Ende der Seillänge ist Ulli etwas verwirrt, da sie einen Stand rechts unterhalb sieht und diesen ansteuert. Sie hat den eigentlichen Standplatz links oben übersehen und ist am Stand vor der letzten Seillänge der Alten Westwand gelandet. Als ich bei ihr ankomme, überlegen wir kurz ob wir über diese Route aussteigen sollen, da die Seillänge toll aussieht. Anderseits möchte ich auch den Originalausstieg recherchieren, der nicht so ersichtlich ist.

Ich bleibe also links und klettere am richtigen Stand vorbei in die letzte Seillänge. Kurz oberhalb des Standes teilt sich die Route. Links kommt man durch leichtes Gelände aufs nächste Band, rechts würde ein überhängender Riss eingebohrt, der mit 7 bewertet ist.  Ich probier den Riss und muss mich promt ins Seil setzen. Nach etwas Tüftelei kann ich die Stelle klettern, finde sie aber sehr hart für den Grad. 8- sähe ich als realistischer an, auf jeden Fall ist sie meiner Ansicht nach schwieriger als die 2. Seillänge. Nach einer letzten kurzen Verschneidung bin ich oben am Ausstieg und sichere Ulli nach.

Jetzt wartet noch eine kurze Wanderung zum Gipfel auf uns. Durch meistens gut ersichtliche Latschengassen, mit nur kurzen Latschenkampfpassagen, steigen wir in traumhaftem Nachmittagslicht der Aussichtsplattform entgegen. Erwartungsgemäß ist es dort vorbei mit der Einsamkeit. Viele Ausflügler spazieren die 15 Minuten von den Bahnstationen hier herauf und genießen die tatsächlich immer wieder beeindruckende Aussicht.

Ziemlich flott sind wir dann wieder am Rucksackdepot, wo wir den Franz Weinhart treffen, einen der Erstbegeher unserer Route. Er ist in voller Arbeitsmontour unterwegs und kommt gerade von einem weiteren Projekt. Er erzählt mir noch von ein paar weiteren Klettermöglichkeiten hier in seinem Hausgebiet, die ich in nächster Zeit mal auschecken werde. In einer weiteren Dreiviertelstunde sind wir an den Radln und rollen dann ohne Anstrengung bis hinab nach Kleinholzhausen. Hier trennen sich unsere Wege wieder und wir sind uns einig, dass es eine super Idee war, diese Tour ganz gechillt ohne Auto anzugehen. Eigentlich macht man sowas viel zu selten, obwohl der Aufwand für jemanden, der praktisch am Fuß der Berge wohnt, sehr überschaubar ist.