Eselwanderung im Queyras-Naturpark

Wandern mit Esel im Parc Naturel Queyras

"So richtig zum Wandern sind wir eigentlich nicht gekommen, sondern wir haben uns die meiste Zeit mit dem Vieh beschäftigen müssen" meint mein Kletterspezl mit amüsiertem Blick, als ich ihm von unseren Urlaubsplänen erzähle. In unserem knapp dreiwöchigen Sommerurlaub wünscht sich meine Familie heuer eine mehrtägige Wanderung in Begleitung zweier Esel. Ich hatte zwar bisher noch nie davon gehört, aber in Frankreich ist es wohl relativ populär, Wandertouren zusammen mit den Langohren zu unternehmen. Mein skeptischer Freund hatte das vor einigen Jahren mit seiner Familie im Vanoise-Nationalpark versucht. Das Ganze läuft so ab, dass man den oder die Esel von dem Eigentümer nach einem kurzen "Esel-Briefing" für ein paar Tage überlassen bekommt und selbständig mit ihnen als Lasttier durchs Gebirge zieht. Eselerfahrung ist angeblich nicht nötig und geländegängig sollen die Tiere auch sein. Nachdem Esel sowohl schlau als auch eigensinnig sein können, sollte man aber damit rechnen, auch mal deren Vorstellungen in der eigenen Planung berücksichtigen zu müssen.

Vorbereitung

Nach gut einer Woche Klettern rund um Briancon fahren wir von Guillestre eine Stunde durch eine wilde Schlucht ins Queyras und über eine kurvige Bergstraße hinauf ins idyllische Bergdorf St.Veran. Dort werden wir von Olivier Weber begrüßt, den Eigentümer "unserer" Esel. Bevor wir starten, übernachten wir in der Gite d' Etappe L' Estoilies im Ortsteil Les Raux mit einem sehr regionstypischen Abendessen. Am nächsten Vormittag geht's dann los. Olivier gibt uns einen theoretischen Crash-Kurs im Eselflüstern und weiht uns in die Geheimnisse des richtigen Bepackens ein, damit die langohrigen Vierbeiner unser Gepäck auch bereitwillig transportieren. Dann drückt er uns den Führstrick in die Hand, begleitet unsere Karawane noch ein paar Meter und verabschiedet sich. Wir befolgen seine Anweisungen so gut wie möglich: Gruppe immer zusammenbleiben - eine Führungsperson voraus, ein "Treiber" immer knapp hinter jedem Esel, keine Hektik oder lautes Geschrei und sein wichtigster Tipp: "Behandelt die Tiere am besten wie ein raffiniertes 5-6jähriges Kind, das immer drauf wartet Euch zu testen". Na gut, das kennen wir ja: Nascherei einschränken, keine eigenständigen Exkursionen zulassen und möglichst viel Zuwendung verteilen.

Erster Tag: St. Veran - Valle Blanche

Es klappt erstaunlich gut. Auch unsere Kinder müssen einen zügigen Schritt vorlegen um mit den Eseln mitzuhalten und das übliche Geschrei können wir mit Hinweis auf die empfindliche Esel-Psyche meist schnell eindämmen. Nach eineinhalb Stunden haben wir bereits das längste Talhatscher-Stück geschafft und gönnen uns und den Lasttieren eine Pause. Danach wird der Weg schmaler und steiler. Gleichzeitig nimmt unsere Sicherheit und das Vertrauen zu, so das jetzt auch mal die Kinder die Esel führen dürfen. An der Kreuzung mit der Fahrstraße und mehreren Wanderwegen herrscht kurz etwas Chaos. Hier haben die Esel wohl in der Vergangenheit schon mal einen anderen Weg genommen und sind der Meinung der wäre für uns besser. Wir können sie aber von unserem Plan überzeugen, wobei wir im Nachhinein feststellen, dass der Esel-Vorschlag wohl sogar sinnvoller und kürzer gewesen wäre. Manchmal sollte man vielleicht auf die Tipps der ortskundigen Locals hören.

An der Cabane de la Blanche müssen wir unsere Starrköpfigkeit dann fast büßen. Nachdem hier viele Zelte lagern sind die Esel der Meinung, das heutige Etappenziel erreicht zu haben. Eigentlich wollen wir aber noch ein Stück höher in ruhigeres Gelände steigen. Das erfordert energische Überzeugungsarbeit und als wir das endlich geschafft haben, kommen uns Wanderer mit einem sehr nervösen, sehr großen Hund entgegen. Schlussendlich haben wir dann doch freie Bahn und ohne weitere Schwierigkeiten finden wir einen tollen Platz für unsere Zelte. Das Zelten für eine Nacht (oder biwakieren) ist im Naturpark Queyras sehr verbreitet und wird im Gegensatz zu den meisten deutschsprachigen Alpenländern hier überall toleriert. Wer noch keine Erfahrung mit Zeltbiwaks hat, sollte sich aber vorher einige Tipps für die richtige Zeltwahl holen.

Zweiter Tag: Zwei Dreitausender

Direkt gegenüber unserer Zeltwiese erhebt sich - wie das Matterhorn über Zermatt - der Tête des Toillies (3175 m) und eine innere Stimme sagt mir "Auffi muass I". Nachdem ich nicht damit rechne, dass sich die Karawane vor 10 Uhr in Bewegung setzt, schäle ich mich kurz nach Sonnenaufgang aus dem Schlafsack und wandere querfeldein zu den malerischen Lacs Blanchet. Ein übler Blockgletscher trennt mich nun vom Col de la Noire, über den ich den besten Zugang vermute. Mühsam geht's auf und ab über Geröll und wackelige, telefonzellengroße Felsblöcke bis unter den Pass zum Wanderweg. Ohne Schwierigkeiten leiten nun Pfadspuren an den Gipfelaufbau. Eine kurze Kletterstelle (in der sogar ein Fixseil hängt) verlangt maximal den 2. Grad, ansonsten handelt es sich um leichte Kraxelei in glattem, taufeuchtem Gestein. Interessant sähe der NNO-Grat aus, der in 12 Seillängen (bis 6a) zum Gipfel führt (Licht-Schatten-Grenze auf dem nächsten Foto). Dafür fehlt mir aber heute sowohl Kletterausrüstung als auch Kletterpartner.

Der höchste Punkt bietet leider nicht die erhoffte Aussicht zum Monviso, der sich hinter dichten Wolken versteckt, dafür eindrucksvolle Tiefblicke ins Val Varaita und zur Cabane de la Blanche. Eine gute Stunde später bin ich wieder an unserem Lagerplatz, nachdem ich für den Rückweg bis fast zur Hütte absteigen muss. Die Zelte sind bereits abgebaut. Schnell frühstücke ich und helfe noch das restliche Zeug zusammenzupacken. Das Tagesziel für unsere Gruppe ist harmloser und soll der erste 3000er für die Kinder werden. Wir wandern über schöne Wiesen und einen kurzen Geröllhang hinauf in den Col de Chamoussiere (2884 m). Hier entladen wir die Esel und müssen als Dank unser Baguette hartnäckig gegen sie verteidigen. Nachdem Susi wenig Motivation für den Gipfel hat, bleibt sie bei den Tieren, während wir mit den Kids die letzten 150 Höhenmeter auf den Pic de Caramantran (3025 m) steigen. "Schau mal, die Autos sehen wie Spielzeug aus" ruft meine Tochter während wir steil zum Col d' Agnel hinabblicken.

Unser Abstieg führt uns entlang des GR 58 wieder zurück in Richting St. Veran, bis wir auf einer Höhe von etwa 2600 m rechts abzweigen und weglos zu den Ruinen der Cabane de Cornivieres queren. Auf dem schönen, sonnigen Platz schlagen wir zwischen Edelweiß und Murmeltierbauten unser Lager für die kommende Nacht auf. Die Kinder erfinden in den alten Steinbauten ihre eigenen Spiele und mit Stefan erkunde ich noch den nahe gelegenen Klettergarten. "Schade dass wir keine Ausrüstung dabei haben" bedauere ich, "die Routen sehen gut aus". Bereits beim Rückweg zum Lager blitzt und kracht es ordentlich. Von Italien schwappt ein Gewitter herüber, der Regen verschont uns aber heute (noch) und tobt sich jenseits des Hauptkammes im Val Varaita aus.

Dritter Tag: Rückweg nach St. Veran

Am dritten Tag unserer Eselwanderung geht es wieder zurück ins Tal. Das erste Stück müssen wir über die steile Wiese weglos hinab zum Wanderweg. Unsere Tragetiere sind das anscheinend nicht gewohnt und wir müssen das Gelände gut ausnutzen, um einigermaßen flache Passagen zu finden, die sie mit den schweren Packtaschen bergab gehen können. Dort wo es etwas sumpfiger wird verweigern sie den Durchgang und wir müssen und trockenere Umgehungen suchen. Am Weg angekommen, machen wir erstmal Mittagspause und dann geht es über den tollen, Höhenweg immer hoch oben am Südhang hinaus nach St. Veran. Dabei fängt es rundherum bereits heftig zu gewittern an, wir schlüpfen aber genau zwischen den Unwettern durch. Erst wenige Meter vor den ersten Häusern des Dorfes fängt es zu Graupeln an. Leider sind es bis zum Stall von Olivier noch 20 Minuten Gehzeit, in denen wir ordentlich nass werden. Im Platzregen bleibt dann auch kaum noch Zeit, um uns von unseren treuen Trägern zu verabschieden.

Fazit: Allen Unkenrufen zum Trotz hatten wir drei tolle Wandertage, in denen wir mit unseren Kindern wohl besser vorangekommen sind als wenn wir ohne Esel unterwegs gewesen wären. Mit dem Tête des Toillies gab es für mich sogar noch ein tolles Gipfelschmankerl, das ich so nicht erwartet hatte. Insgesamt drei schöne Tage die nicht nur für die Kinder ein einmaliges Erlebnis darstellten.